So schnell wird man schuldig

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Wolfgang Denkel schrieb mit "Ja.Nein.Ja" ein beachtenswertes Romandebüt über einen, der sich nach einem Unglück sehnt.

Wolfgang Denkel (geboren 1958) macht es den Lesern mit seinem späten, dafür aber sehr ambitionierten Romandebüt nicht ganz leicht, indem er die seit einigen Jahren oft konstatierte "Rückkehr zum Erzählen" konsequent verweigert und in seinem prononciert experimentellen Roman mehrere Unmöglichkeiten des Erzählens durchspielt. So schwingt sich der meist lethargische Protagonist Leonard Kramer zwischendurch auch selbst zum Gestalter auf und nimmt im zweiten Teil des Buches, der den Titel "Ein ziemliches Durcheinander" trägt, plötzlich einen anderen Namen an: Leichtfeld. "Er konnte ja dafür sorgen, dass dieser Name ihm nicht widerlegt würde. Er würde dafür sorgen, dass ihm leicht fiel, was ihm schwer fiel. Er könnte sich den Namen sichern, indem er an ihn glaubte."

Kramer vs. Leichtfeld

Als Leichtfeld gewinnt Leonard Kramer kurzfristig ungewöhnliche Souveränität, kann einen Schritt zurückgehen oder mit Personen aus dem Publikum in direkten Dialog treten, ja diese sogar in seine Geschichte einbinden. Um, wenn es brenzlig wird, immer noch sagen zu können: "Ich bin froh, daß wir uns in einem Text befinden!"

Alles beginnt damit, dass Leonard Kramer in einem Restaurant sitzt und wartet. "Wartete er nicht auf ein Unglück?" Und schon passiert es: Ein alter Mann schwankt, Kramer läuft hin und der Fremde stirbt in seinen Armen. Nun fühlt sich Kramer an dessen Tod schuldig, da er sich "nach einem Unglück gesehnt" hat. Die eigenartigen Begebenheiten häufen sich, besonders eine Frau im grünen Kleid bringt Kramers bisher geordnetes, etwas langweiliges Leben bedrohlich aus dem Lot, da sie wie aus dem Nichts auftaucht und Kramer, ohne jemals ein Wort zu sprechen, nicht mehr von der Seite weicht. "Er hätte nur gerne geduscht, einen Morgenwind abgehen lassen und sich danach ausführlich und unvornehm der Nahrungsaufnahme gewidmet. Daran war aber unter diesen Umständen nicht zu denken. Er würde Rücksicht nehmen müssen. Um so mehr, als ihm das gesamte Geschehen im Grunde unklar war. Was geschah hier überhaupt, und zu welchem Zweck geschah es? Was wollte diese Frau in seiner Nähe?"

Leonards Weg zum "Glück"

Zunehmendes Unbehagen stellt sich ein und Leonard Kramer erinnert in manchen Zügen durchaus an Herrn K. aus Kafkas "Prozeß", dessen Schuld ja im Wesentlichen darin besteht, den ungeheuerlichen Dingen ihren Lauf zu lassen - denn das Gesetz sucht "nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird … von der Schuld angezogen" (Kafka). Auch Herr Kramer versucht nicht zu fliehen. "War sein Leben nicht unwürdig genug? Und lief man nicht auf der Flucht immer dem Unglück in die Arme?"

Im Weiteren verliert Leonard Kramer seinen Job, bemüht sich vergeblich um eine "körperliche Vereinigung" mit Verena - wobei die Frau im grünen Kleid naturgemäß hinderlich ist - und wird von vorgeblichen Verwandten und Bekannten des Toten heimgesucht, die sich immer mehr mit ihren eigenen Geschichten in den Vordergrund drängen. Vergeblich versucht Kramer, mittels Listen Ordnung in die Desintegration zu bringen, bevor er im dritten Teil des Buches ("Ein mögliches Ende") plötzlich sehr radikal auf seine Körperlichkeit reduziert wird. Aus eigenem Verschulden zum Krüppel geworden wird er schlussendlich noch von einem Unbekannten zusammengeschlagen und der Roman endet mit dem lapidaren Satz: "Um 11:41 war Kramer glücklich."

Nicht alles an diesem Roman ist gelungen und so manche Eliminierung von Redundanzen hätte dem Text gut getan, dennoch handelt es sich um ein beachtenswertes Debüt. Wolfgang Denkel fordert von seinem Publikum zwar ein gewisses Maß an Spielfreude und Ausdauer, doch wird es dafür - besonders in den Dialogpassagen - mit absurdem Sprachwitz belohnt.

ja.nein.ja

Roman von Wolfgang Denkel

Droschl Literaturverlag, Graz 2008

212 Seiten, geb., € 19,-

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