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Spitzenköche auf die Bühne

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Die Kochkunst hat die Popkunst abgelöst. Wo einst die Idole der Unterhaltungsmusik aufgeigten, schwingen nun die Haubenköche ihre Löffel.

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Die Kochkunst hat die Popkunst abgelöst. Wo einst die Idole der Unterhaltungsmusik aufgeigten, schwingen nun die Haubenköche ihre Löffel.

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Die Agenturen müssen ständig mit Neuerungen und Superlativen aufwarten, um ihr Publikum bei der Stange zu halten. Einmal ist es eine Lichtshow, die alles bisherige in den Schatten stellt, dann ist es eine Tonanlage, die knapp auf 24 Sattelschleppern Platz findet. Wieder ein anderes Mal sind es Laserkanonen, die die Dunkelheit durchkreuzen, und ab und zu wird auch durch die Preise der Eintrittskarten Furore gemacht.

Aber irgendwie sind auch den Megastars Grenzen gesetzt. Denn was hilft die lauteste Tonanlage, die den Fans die Trommelfelle zertrümmert?

Diese Grenzen der Steigerung hat die Chefs der Agenturen auf den Plan gerufen und sie sind in Klausur gegangen, um die Situation zu beraten. Noch größer, noch lauter, noch heller geht es nicht mehr, also muß etwas anderes, ganz Neues versucht werden. Nach langwierigen Beratungen hatten sie den Stein der Weisen gefunden: Die Spitzenköche und Spitzenköchinnen der „first-in"-Haubenlokale müssen mit ihrer Kunst auf die Bühne der Veranstaltungshallen, um dort ihren Kochlöffel zu schwingen.

Alle Agenturchefs ohne Ausnahme waren von dieser Superidee begeistert. Das wird die Massen in die Hallen und Stadien ziehen. Die Kochkunst als Megaspektakel ist in -die Popkunst ist out. So einem Filet ä la Stroganoff auf offener Bühne mit einem vierzehnköpfigen Küchengeschwader an der Hand des Meisters, dem kann sich sicherlich keiner entziehen. Oder so ein zwölfgängiges Menü bestehend aus mehreren Vorspeisen, dreierlei Hauptspeisen, unzähligen Zwischenspeisen und besonderen Nachspeisen ... muß einfach unwiderstehlich sein. Endlich kann neben Gehör- und Gesichtssinn auch der Geruchssinn über chemische Geruchsverstärker angesprochen werden.

Ein ganz neues Feeling, mitzuerleben, wie aus einem Stück Fleisch allmählich eine Piccata Milanese oder ein Boeuf ä la Bossini oder ein Escalope de Parisienne entsteht. Kulinarische Genüsse mit Auge, Nase und Mund am laufenden Band. Vorspeisen, Hauptspeisen, Zwischen-ünd Nebenspeisen und besondere Nachspeisen, im gleißenden Licht der Scheinwerfer brutzelnd, kochend, zischend, köchelnd, halb gefroren oder flambiert, je nachdem.

Eine ganz neue Art der Veranstaltungskultur wird sich nun etablieren. Beim Eingang zum Stadium wird nicht mehr irgendein mickriger Pommes-Frites-Kocher stehen, das Odeur altem Fritierfettes verströmen und Ketchup aus der Tube pressen.

Nein, wenn Spitzenköche in die

Arena steigen, dann werden auch im Pausenbuffet Lachsröllchen auf Tomatenschaum, Crevettenschwänz-chen auf dreierlei Meeresalgen und Himbeersorbet im Champagnerbeet statt abgelegenen Wurstsemmeln und vertrockneten Hot dogs aufgetragen. Statt CDs, wie bisher in Popkonzerten, werden des Meisters Re-zeptcreationen oder seine bevorzugten Kochlöffelmodelle zum Kauf angeboten.

Auch Kochhauben, Lätzchen und Schürzen locken die Souvenirjäger zum Griff nach der Geldbörse. Und wer die besten Rezepte nachkochen, die exotischsten Ingredienzien entschlüsseln kann, der ist „in" in der Szene.

„Spitzenköche vor den Vorhang", heißt das Motto der neuen Veranstaltungsgeneration. Man muß nicht alles essen, was so gekocht wird -wie sehe man da.aus - aber man muß sie einmal an den blitzenden Zauberkesseln in Aktion gesehen haben, die Formel I Champions der hohen Küche, die Michael Jacksons der Geschmacksknospen und die Tina Turners der Degustationsmenüs.

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