Dubravka Ugrešić und "Das Ministerium der Schmerzen": Vielleicht doch zu Hause

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Dubravka Ugrešić trauert in ihrem Roman "Das Ministerium der Schmerzen" um Jugoslawien.

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Dubravka Ugrešić trauert in ihrem Roman "Das Ministerium der Schmerzen" um Jugoslawien.

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Die Kroatin Tanja Lucić und ihr serbischer Freund müssen wegen des Krieges ihre Heimatstadt Zagreb verlassen und landen zunächst in Berlin, von wo es Goran nach Japan zieht und wo Tanja eine Einladung nach Amsterdam annimmt. Dort kann sie als Serbokroatisch-Lektorin am Slawistischen Institut der Universität unterrichten und in einer winzigen Souterrainwohnung im Rotlichtviertel wohnen. Wie die meisten ihrer Schülerinnen und Schüler, die aus allen Teilen Ex-Jugoslawiens kommen, leidet Tanja unter den Traumatas des Exils.

Die Protagonistin teilt mit der vielfach ausgezeichneten Schriftstellerin und Essayistin Dubravka Ugrešić trauert in ihrem Roman "Das Ministerium der Schmerzen" um Jugoslawien. einiges, die Herkunft und die Wahlheimat, den Beruf der Literaturwissenschafterin, aber sie ist jünger und überhaupt, so bekennt die Autorin, ist alles in dem Roman "frei erfunden". Nach ihrem autobiografischen Roman "Das Museum der bedingungslosen Kapitulation" (dt. 1998) über die Flüchtlingssituation in Berlin, setzt sie ihre Erkundung der Emigration mit "Das Ministerium der Schmerzen" fort, das Mitte der 1990er Jahre spielt.

Präzise beobachtet und analysiert die Ich-Erzählerin das Verhalten ihrer Landsleute, der "Unsrigen" wie sie sich nennen, da ihnen nicht nur ihr Vaterland abhanden gekommen ist, sondern auch ihre Muttersprache, "die in drei Muttersprachen aufgeteilt worden war wie ein Lindwurm mit dreifach gespaltener Zunge". Für Tanja Lucić sind Kroatisch, Serbisch und Bosnisch Varianten einer Sprache, auch wenn diese Sprachen Krieg führten. Im neuen Land mischen sich englische und holländische Sprachbrocken in die alte Sprache, in der manches nicht mehr ausgesprochen werden kann.

Tanja überlegt, wie und was sie ihren Studenten unterrichten soll, da die meisten ohnehin nur eine Aufenthaltserlaubnis wollen und nebenbei in vielerlei Jobs illegal Geld verdienen müssen, als Putzfrauen, Kellner, Straßenmusiker oder in einer Werkstatt, in der Kleider für S&M-Klubs wie das "Ministery of Pain" gefertigt werden, dem das Buch den Titel verdankt.

Die Lektorin sucht der verordneten Verdrängung und dem Schweigen der Studenten etwas entgegenzusetzen und fordert sie auf, Texte zu verfassen, die an den exjugoslawischen Alltag erinnern und die alle in die symbolische rot-weiß-blau gestreifte Plastiktasche gesteckt werden. Über die Tasche, die millionenfach durch die Welt reist und aussieht "wie eine Parodie auf die jugoslawische Fahne ohne den roten Stern", hat Ana aus Belgrad einen Aufsatz geschrieben. Andere erinnern sich an schöne Kindheitserlebnisse, Urlaube und Tanzstunden, nur Igor verurteilt in einem Rundumschlag die "jugoslawische Lyrik" und UrosÇ bezeichnet Jugoslawien als Land, in dem alle logen. Er wird sich kurz darauf selbst töten, "aus Scham", während sein Vater als Kriegsverbrecher vor dem Haager Tribunal aussagen muss.

Die Erinnerungsarbeit der Rekonvaleszenten bringt auch Trauer, Wut und Abwehr an die Oberfläche und kann von Tanja immer weniger gesteuert werden, gemeinsame Treffen geraten unter Alkoholeinfluss zu Katastrophen. Eine gewalttätige Konfrontation zwischen Tanja und Igor beendet ihre Unterrichtstätigkeit und ermöglicht gleichzeitig einen Neuanfang der Protagonistin.

Am Ende sitzt Tanja in einer heruntergekommenen Sozialwohnung am Stadtrand, die ihr Studenten überlassen haben, "das neu erworbene low-life-Visum fest in der Hand", und denkt, während sie aus dem Fenster auf den abendlichen Betonplatz schaut: "Vielleicht bin ich doch zu Hause angekommen."

In den fünf Teilen des Romans "Das Ministerium der Schmerzen" umkreist Ugrešić in kurzen Kapiteln, die meist durch literarische Motti eingeleitet werden, das zentrale Thema von Sprach- und Identitätsverlust. Mit großer Ironie demaskiert sie gegen Ende auch die Zukunft eines polyglotten Menschentyps, der bald aus Osteuropa nach Westen strömen und "ständig die Wörter mobility, flexibility und fluidity wie Kaugummi im Mund drehen" wird. Dubravka Ugrešić zählt wie ihre Romanfiguren zur "lost generation", der sie ein gelungenes literarisches Denkmal setzt.

DAS MINISTERIUM DER SCHMERZEN

Roman von Dubravka Ugrešić

Aus dem Kroat. von Barbara Antkowiak und Mirjana und Klaus Wittmann

Berlin Verlag, Berlin 2005

288 Seiten, geb., e 20,50

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