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Die Treibenden und die Getriebenen

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Im Rahmen der vom Luchter-hand-Verlag besorgten westdeutschen Werkausgabe von Anna Seghers ist jetzt der Roman „Die Toten bleiben jung“ erschienen (1. Osüberliner Ausgabe 1949). Neben dem „Siebten Kreuz“, eines ihrer stärksten und bedeutendsten Bücher, in dem sie, an vielen Einzelschick-salen von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, ein Gesamtbild der deutschen Entwicklung zwischen den beiden Weltkriegen zeichnet.

Ausgangspunkt der Handlung ist die Erschießung eines jungen Soldaten, der sich nach seiner Heimkehr 1918 den Spartakisten anschließt, bei den Berliner Straßenkämpfen gefangengenommen und von Freikorpsoffizieren in einer sehr willkürlichen privaten Aktion liquidiert wird. Derselbe Offizier, der seinerzeit den Vater erschoß, läßt am Ende des zweiten Weltkriegs dessen Sohn, wegen seiner antinationalsozialistischen Uberzeugungen, hinrichten.

Wie in allen ihren Büchern schlägt das Herz der Autorin auch in diesem für die Unterdrückten und Verfolgten. Aber es handelt sich durchaus um ein menschliches Engagement, nicht um politische Propaganda im Dienste des Marxismus, Hier geht es der Seghers um ein neues, besseres Leben, um den Sieg des Humanen in einer sich wandelnden Welt, deren Ansatzpunkte freilich bei Gestalten wie den beiden Toten sich abzeichnen, die dem Arbeiterstand angehören. Von billiger Schwarz-Weiß-Zeichnung kann trotzdem nicht die Rede sein, auch nicht davon, daß die Seghers sich einem unlösbaren Konflikt zwischen künstlerischer Berufung und politischem Engagement gegenübersieht. Eine Behauptung, die manche ihrer westlichen Kritiker aus ihrem persönlichen Lebensweg ableiten: Sie trat 1929 der kommunistischen Partei bei, emigrierte, als die Nationalsozialisten das deutsche Schicksal in ihre Hand nahmen, und kehrte 1947 in die DDR zurück, wo sie seither lebt und arbeitet. Das schließt allerdings ein politisches Bekenntnis in sich, nicht aber, wie das manchmal voreilig angenommen wird, den Verzicht auf literarisches Können, die Fähigkeit gültigen Gestaltens. Es ist sicher kein Zufall, daß Anna Seghers bis heute den von den politischen Funktionären ihres Landes von ihr gewünschten und erwarteten positiven Roman über das „neue Leben“ nicht geschrieben hat. Dann nämlich könnte Wirklichkeit werden, was sie bisher zu vermeiden gewußt hat: daß die Kluft zwischen künstlerischer Form und bestelltem Inhalt nicht zu überbrücken ist.

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