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Dokumente einer Freundschaft

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Daß sich die Droste viele Jahre lang an Christoph Bernhard Schlüter angeschlossen hat, das hat man nie so recht verstehen können. Denn Schlüter, der Münsteraner Philosophiedozent, aus dem Umkreis der „Familia sacra“, schon mit dreißig Jahren fast erblindet und von „lebensfremden Frauen“ betreut, galt als ziemlich unvital und temperiert; als zwar gütig, aber etwas konventikelhaft und also kaum von jener Art, die einer Droste hätte besonders förderlich sein können. In der romanhaften Droste-Biographie der Mary Lavater-Sloman heißt es denn auch von ihm, er sei „wie ein warmer Ofen gewesen“, wie „eine heimelige Stube“ und habe zu „stillvergnügt und in philosophischer Ergebenheit“ davon gelebt und der Droste nur „sanfte Speisen“ geboten Und Busse schrieb von ihm, er habe die Hintergründigkeit der Droste nie begriffen, sie sei ihm ein Rätsel geblieben und er habe auch an ihrem Werk vorbeigeurteilt.

Davon ist einiges nicht abzuweisen, und der Lebens- und Entwicklungsgang der Droste zeigt denn auch, daß sie sich von Schlüter zu lösen begann, als der „Sturmvogel“ anfing, seine Schwingen zu versuchen. Aber vorher, in der Zeit des Versuchens und Tastens und einer gewissen Rüschhauser Altjüngferlichkeit und bevor Schücking ihr die Zunge löste, scheint Schlüter doch keineswegs so ganz fehl am Platz gewesen zu sein, wie man immer wieder gemeint hat, und Josefinc Nettesheim versteht es auch, uns davon zu überzeugen, daß Schlüter der Droste weit mehr zu bieten vermochte als nur „sanfte Speisen“. Das ergibt sich zwar weniger aus den Briefen an sie, die meistens etwas biedermeierlich verschnörkelt und weich sind, als mehr aus den Büchern, die er ihr zukommen ließ und die man gelesen haben muß, um zu begreifen, daß auch Schlüter seine Hintergründe hatte. Er bereinigte nicht nur

ihre ästhetischen Anschauungen und machte ihr in einer Zeit, in.der sich sonst niemand um ihre Dichtungen bekümmerte, Mut. sondern er führte sie auch sachte aus einem allzu konservativen Katholizismus, an dem sie irre zu werden begann, heraus. Er selber stand mitten im Kampf „um eine neue, nicht verbürgerlichte,' radikal christliche Haltung, um ein an der Auseinandersetzung mit der modernen Naturwissenschaft und Naturphilosophie sich weiter entwickelndes Christ-Sein, das jenen Umbruch vollziehen half, den wir heute an Schellings Spätwerk, an Baaders frühen Konzeptionen, an der Dichtung und Gestalt Hölderlins erkennen. Er war durchaus kein bequemer Freund.“

Aber man wird das auch nicht überschätzen dürfen. Bei Schlüter scheinen diese sprengenden Impulse und die Baaderschen Auftriebe in einer doch etwas trockenen Hitze verblieben zu sein, und er war ganz einfach nicht der Mann, der mitzureißen vermochte. Er war ein Vermittler, aber kein Erreger, und das, was aus seinen Gedanken ins Leben geriet, bekam doch fast immer einen leichten Geschmack nach Quietismus. Die Droste ärgerte sich auch darüber, daß er sich allzu kritiklos mit verseschreibenden Damen umgab, zwar Theorien hatte, aber offenbar nicht immer das, was man ästhetische Urteilsfähigkeit nennt, und daß er eine Luise Hensel auf eine Stufe mit ihr stellte, auch dann noch, als die Droste längst weit mehr geworden war.

Dennoch hat er im Leben der Droste seine Rolle gespielt, und eine bemerkenswertere, als man anzunehmen geneigt war, und es ist durchaus in Ordnung, daß Josefine Nettesheim ihm nun einen besseren Platz anzuweisen versucht hat, den Platz vor Schücking und im Uebergang.

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