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Der renommierte französische Theaterautor Eric-Emmanuel Schmitt erzählt vom friedlichen Zusammenleben von Juden und Moslems.

Als ich elf war, habe ich mein Schwein geschlachtet und bin zu den Dirnen gegangen." Ein starker Auftakt für eine Geschichte, in der es um das Heranwachsen unter außerordentlichen Bedingungen geht. Der Ammann Verlag hat mit der Übersetzung der ersten Prosaarbeit des französischen Autors Eric-Emmanuel Schmitt - "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" - wieder einmal die Nase vorn.

Schmitt ist in den letzten zehn Jahren international zu einem der meistgespielten zeitgenössischen Theaterautoren aufgestiegen; in Frankreich wurde soeben sein vierter Roman veröffentlicht. Dass er vom Theater herkommt, merkt man auf jeder Seite. Da kann einer richtige und schlagfertige Dialoge schreiben. Moses, elf, mutterlos aufgewachsen, mit einem depressiven Vater gestraft, schlachtet also sein Schwein, ein Sparschwein, in das man Münzen zwar einwerfen, aber nichts herausnehmen kann, gemäß der Lebensanschauung seines Vaters: "Geld ist zum Horten da, nicht zum Ausgeben." Mit dem Inhalt des Schlachtschweins ab in die rue de Paradis. Wo ihn eine leichte Dame fragt, ob er schon sechzehn sei: "Ja, seit heute morgen." Nach zitternd erlebter Initiation soll der Bub der Liebesdienerin ein Geschenk geben. "Ich hab ihr meinen Teddy gegeben." Der mutige Moses ist ein Judenknabe, der einen Araber, den Kolonialwarenhändler Monsieur Ibrahim, zum Freund gewinnt. M. Ibrahim spricht wenig, bezieht seine Weisheit aus dem Koran, hat seine Augen überall, sein Herz am rechten Fleck und erklärt dem Konservenbüchsen klauenden kleinen Wilden schließlich, er sei zwar Moslem, aber kein Araber: "Warum sagt man dann, dass Sie der Araber der Straße sind, wenn Sie gar kein Araber sind?" "Araber, das bedeutet in unserer Branche: Von acht bis vierundzwanzig Uhr geöffnet, auch am Sonntag."

Monsieur Ibrahim nimmt sich der kleinen und großen Sorgen des Heranwachsenden an, indem er ihm behutsam zeigt, wie man sich in der Welt der Erwachsenen bewegt. Von Anlass zu Anlass tut sich vor Moses diese geheimnisvolle Welt immer mehr auf; er liebt seinen Freund, dessen einzige geistige Nahrung der Koran ist. Dann nimmt die Geschichte eine groteske Wendung. Der schwermütige Vater des Burschen wirft sich vor einen Zug und Monsieur Ibrahim adoptiert den Buben. Gemeinsam fahren sie in einem Auto, das beide kaum chauffieren können, in die türkische Heimat des Herrn Ibrahim. Dort endet die Reise an einer Mauer: Totalschaden. Monsieur Ibrahim stirbt, hat aber für seinen "Sohn" vorgesorgt. Er wird der "Araber" an der Ecke.

So erzählt, klingt die Geschichte fast sentimental. Sie ist es aber nicht. Das Buch reiht sich nahtlos in eine große europäische Tradition ein, die im Spanien des 16. Jahrhunderts begann. Es ist der pikareske Roman. Der "picaro" (spanisch: Schelm, Gauner) ist einer, der in Ich-Form von seinem Bemühen erzählt, in einer mehr oder weniger verrückten Welt mit anständigen Mitteln Fuß zu fassen, was regelmäßig misslingt. Man könnte das Buch auch als eine Parabel des friedlichen Zusammenlebens von Juden und Moslems lesen, als einen Wunschtraum, der seiner Erfüllung harrt ... Zauberhaft!

MONSIEUR IBRAHIM UND DIE BLUMEN DES KORAN

Erzählung von Eric-Emmanuel Schmitt, aus dem Französischen von Annette und Paul Bäcker, Ammann Verlag, Zürich 2002, 112 Seiten, geb., e 12,40

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