Angst sucht ihr Medium

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Weblogs lieferten die ersten Augenzeugenberichte der Londoner Anschläge.

You're not alone." - "Du bist nicht allein." Weblogs sind Internetforen, in die Nutzer persönliche Anmerkungen wie diese Ermutigung stellen. Bei den Anschlägen am 7. Juli in London lieferten Handy- und Digitalkameras die Bilder und Videos zu den Augenzeugenberichten. Nicht erst bei diesen Terroranschlägen waren Blogs von Bedeutung: Bereits bei den Anschlägen am 11. September 2001 lieferten diese teils schneller die aktuellen Informationen als das Fernsehen.

"Ich war in der Southbound Piccadilly Line, als es passierte. Kurz nach neun war ein ohrenbetäubender Krach zu hören und der Zug blieb abrupt stehen. Die Lichter im Wagen gingen aus, die Luft füllte sich mit Staub und Rauch ...", lautet der Inhalt einer Weblog. Der Psychotherapeut und Krisenmanager Karl Miksch sieht in Weblogs ein "Ventil, das sehr viel Sinn macht". Weblogs seien ein Spiegel für die Unsicherheit des Menschen, sagt Miksch gegenüber der Furche. "Sicher waren sich nicht alle in London der Gefahr bewusst, in der sie leben. Mit jedem Anschlag bricht ein Stück heile Welt weg, auch wenn man das selbst nicht realisiert", so Miksch. Die Weblogs seien ein "Sich-nach-draußen-Bewegen, auf Grund der Spuren, die die Anschläge hinterlassen haben".

Graswurzel-Journalismus

Blogs sind Gradmesser veränderter gesellschaftlicher Bedürfnisse und Befindlichkeiten: War Ohnmacht bei den Anschlägen am 11. September noch das dominierende Gefühl in der Berichterstattung, agierten Nutzer vergangene Woche offensiver: Sie stellten nicht nur Bilder zu den Anschlägen, den Bergungsarbeiten und den leeren Straßen ins Netz, sondern auch Botschaften, die sich an die Terroristen richten: "We're not afraid" - "Wir haben keine Angst". Auf Subway-Schildern, einem T-Shirt eines pausbackigen Babys, Notizzetteln ist diese Botschaft zu lesen.

Erfunden wurden die Blogs 1997 von dem Internetpionier John Borgar. Vorerst handelte es sich vorwiegend um Fach-Weblogs, in denen ein Autor Artikel zu einem bestimmten Thema veröffentlichte; heute gibt es zunehmend persönliche Geschichten in Tagebuchform, die als Weblog geführt werden. Was in den usa als Graswurzel-Journalismus bezeichnet wird, fügt sich in Europa in die Tradition von Gegenöffentlichkeit. Die Demokratisierung des Journalismus durch Weblogs birgt jedoch die Gefahr von Missbrauch. Ein weiteres Charakteristikum dieser Blogs in Krisen: Das Objekt der Berichterstattung nimmt immer mehr die zusätzliche Rolle des Subjekts ein.

Seelenexhibitionismus

In Krisen seien Seelenexhibitionismus, Angst und Aktionismus die drei primären Motivationen für Weblogs-Autoren, sagt Miksch und weiter: "Solche Katastrophen überschreiten die persönliche Grenze der Menschen. Da niemand weiß, wann und wo die nächste Katastrophe stattfindet, entsteht ein massives Bedrohungsbild." Ein Blick auf die Texte zu den Anschlägen in London macht diesen aktionistischen Widerstand sichtbar: "Wisst ihr, wie oft unsere Stadt schon angegriffen wurde? Was immer ihr vorhabt, es wird nicht funktionieren."

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