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Julian Rathbones Roman "Querubin oder der letzte Kastrat" führt in spanische Vergangenheit.

Erschossen und verscharrt wie Hunde wurden die Republikaner von Francos Soldaten ab 1936. Die ersten Massengräber in Spanien werden aber erst seit einigen Monaten ausgegraben. Die Knochen sind bleich, die Vergangenheit ist bei vielen jedoch noch immer präsent, als Schmerz, als Tabu oder als weißer Fleck auf der Gedächtnislandkarte. Als pittoresken Hintergrund verwendet sie der englische Autor Julian Rathbone in seinem Roman "Querubin oder Der letzte Kastrat." Geschichte alleine genügt dem Autor nicht, Erotik und Musik müssen assistieren.

Im Mittelpunkt steht der Kastratensopran David Querubin, der in seiner Villa in der Sierra Nevada seinem Ende entgegenstirbt und dessen Geschichte eng mit der republikanischen Geschichte Spaniens und der Spanischen Revolution zusammenhängt.

Hauptakteur Musik

Der zweite Hauptakteur ist die Musik, denn mit dem Auftauchen der Gesangsschülerin Petra erfährt der Leser einiges über Monteverdi und seine "Poppea". Für David bedeutet das so etwas wie Unsterblichkeit, da seine Stimme und seine Phrasierungen weiterleben werden, und die Chance, Klarheit über seine Vergangenheit zu bekommen. David wurde von seiner Mutter verführt, lebte verkleidet als Mädchen mit ihr, floh vor der militärisch-katholischen Gegenrevolution, entmannte sich selbst, fand Zuflucht in einem Kloster und hat seine Erinnerung verdrängt.

Die Vergangenheit liegt hinter einem nebeligen Schleier des Vergessens, aus dem ein Psychotherapeut in mühsamer Arbeit hilft, Schemen realer Szenen auftauchen zu lassen. Ein bohemiehaftes Zeitbild rund um eine wohlhabende Bankiersfamilie - da die Mutter, dort die Tante, eine Psychotherapeutin -, um einen Maler mit einer sagenumwobenen Villa, um Garcia Lorca, Anarchisten und Huren und Revolutionäre entsteht vor dem Leser.

Petra nimmt die Spuren auf. Am Schluss liefert ein von der Dorfbevölkerung verdrängtes Massengrab den Beweis, dass die Geschichte von David keine Fantasie war. Der Namen des ehemaligen Thermalbades, in dem David mit seiner Mutter war, findet sich auf keiner Landkarte, hier wurden die Gegner hingeschlachtet und alle nachfolgenden Generationen, gleich auf welcher Seite sie gestanden waren, hatten sich geschworen den Ort aus dem Gedächtnis zu verdrängen.

Leitmotivische Pauken

Ein spannendes Buch, dem man allerdings anmerkt, dass das Schielen nach der Quote die Ausführung bestimmt hat, etwa bei Figurenkonstellation und Handlungskonstruktion (Petra hat ihren Vater verführt, der daraufhin Selbstmord begeht). Während die Exkurse über Musik erotisieren, wirken die erotischen Szenen hölzern wie ein Olivenhain (vielleicht liegt es an der Übersetzung). Zuweilen ist es anregender, Dinge in der Schwebe zu halten oder nachklingen zu lassen, als leitmotivisch Pauken einzusetzen. Aber die fantastische Landschaft rund um Granada riecht man förmlich und nach der Villa in der Sierra Nevada sehnt man sich, auch wenn man keinen Gesangsunterricht nehmen will.

Querubin oder Der letzte Kastrat

Roman von Julian Rathbone

Aus d. Engl. v. Michaela Grabinger

Europa Verlag, Hamburg 2004

270 Seiten, geb., e 18,40

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