Plebejische Störungen

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DER LITERATURWISSEN-SCHAFTLER WENDELIN SCHMIDT-DENGLER ÜBER DEN FUSSBALL.

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DER LITERATURWISSEN-SCHAFTLER WENDELIN SCHMIDT-DENGLER ÜBER DEN FUSSBALL.

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Wer als Intellektueller seit Kindesbeinen Leidenschaften für Gebiete der Alltagskultur entwickelt, die einem Intellektuellen nicht gut zu Gesicht stehen, reagiert mit verständlicher Verbitterung darauf, wenn sich der Zeitgeistwind plötzlich dreht und diese vormals geächteten Gebiete modisch werden. Lange bevor es im deutschsprachigen Raum zu den Voraussetzungen eines Geisteswissenschaftlers oder Feuilletonredakteurs gehörte, sich mit den Finessen des Fußballs auseinanderzusetzen, ließ der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler (1942-2008) keinen Zweifel daran, dass sein geistiges Spektrum über Heimito von Doderer und Thomas Bernhard hinausgeht. Spätestens seit dem Jahr 1955, als Rapid Wien eine schmachvolle 0:5-Niederlage gegen den Lokalrivalen Vienna einsteckte, schlug das Herz Schmidt-Denglers für die Hütteldorfer und konnte folglich der Austria Wien nicht das Geringste abgewinnen. Im Gegensatz zu manch anderen universitären Heroen machte der Wiener Ordinarius Schmidt-Dengler nie einen Hehl daraus, dass er ein spannendes Europacup-Finale im Zweifelsfalle einem drögen literaturwissenschaftlichen Symposium oder Theaterbesuch vorzog. Die Begründung dafür weist kaum zu widerlegende Überzeugungskraft auf: "Wie Shakespeares 'Hamlet' oder Lessings 'Minna von Barnhelm' ausgehen, weiß ich, wie aber das nächste Derby zwischen Rapid und Austria ausgeht, weiß ich nicht. Der ästhetische wie dramaturgische Vorsprung des Hanappi-Stadions vor dem Burgtheater ist kategorial."

Mit Inbrunst und Scharfsinn

Knapp vier Jahre nach Schmidt-Denglers überraschendem Tod erscheinen seine meist für österreichische Tageszeitungen und Magazine entstandenen Essays in einem Sammelband und machen Inbrunst und Scharfsinn deutlich, mit dem dieser international geschätzte Literaturwissenschaftler sein hermeneutisches Besteck auch im Strafraum einzusetzen wusste. Mit Lust erinnert er sich beispielsweise an seine Jugend, als er, gegen den Widerstand des Vaters, dem runden Leder erlag und dieser Faszination treu blieb, als diese noch den "Charakter der plebejischen Störung des guten Tones" hatte. Schmidt-Dengler weiß, dass die Paradiese der Kindheit auf jedem Terrain entstehen und Ergriffenheit keine Frage des kulturellen Niveaus ist. Und wer sich wie er von Haus aus mit Sprache befasst, vergisst nie, was die großen Reporter -in diesem Fall Heribert Meisel oder Edi Finger sen. - mit ihren verbalen Exzessen an Kulturgut geschaffen haben.

Sonde in die Geschichte

Schmidt-Denglers Betrachtungen schauen anlässlich von Welt-und Europameisterschaften durchaus über den österreichischen Tellerrand hinaus, arbeiten sich am Widersacher Deutschland (1:6 1954,3:2 1978!) ab und dulden keinen Zweifel daran, dass der Fußball eine "Sonde in die Geschichte des 20. Jahrhunderts" abgibt. Und wie könnte es anders sein: Literaten wie Karl Bruckner, Ödön von Horváth oder Robert Menasse, die das Rasengeschehen in ihren Werken thematisieren, dürfen einer genauen Beobachtung gewiss sein. Manches in diesem Sammelband -das Nachwort erwähnt es entschuldigend ist von Wiederholungen geprägt, und so erfahren wir mehrfach, was Elias Canettis Schrift "Masse und Macht" dem Lärmen der Rapid-Wien-Fans schuldet und dass Alban Berg liebend gern ins Stadion ging, ohne mit einfachsten Regeln vertraut zu sein.

Wie es sich für einen österreichischen Fußballenthusiasten gehört, war es Schmidt-Dengler gewöhnt, mit Niederlagen umzugehen. Leidvoll arrangiert er sich mit diesem Schicksal und betont, dass wahre Größe mitunter erst in den "glorious defeats" entsteht. Diese mag man an den Thermopylen, in Alamo und auf dem Amselfeld lokalisieren - oder aber im Stamford Bridge Stadion, wo Österreichs Wunderteam 1932 nach brillantem Kampf 3:4 gegen die Engländer verlor. Wie viel hätte Wendelin Schmidt-Dengler wohl dafür gegeben, damals mit dabei gewesen zu sein und Matthias Sindelar &Co. angefeuert zu haben

Hamlet oder Happel Eine Passion. Von Wendelin Schmidt-Dengler. Klever 2012.160 S., kart., € 17,90

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