"An uns wird geknabbert"

Werbung
Werbung
Werbung

Der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler, "Wissenschafter des Jahres 2007", über Doyens, dicke Wälzer, ahnungslose Maturanten - und die Euro 08.

Die Furche: Herr Professor Schmidt-Dengler, Sie wurden zum "Wissenschafter des Jahres 2007" gewählt. Sind Sie stolz darauf oder ist es Ihnen eher peinlich, als "Doyen der Germanistik" zu gelten?

Wendelin Schmidt-Dengler: Das Wort "Doyen" finde ich ein bisschen komisch. Das hat etwas von "Doge". Raoul Aslan oder Ewald Balser sind immer als die großen "Doyens des Burgtheaters" herumgelaufen. In diese Kategorie möchte ich nicht unbedingt subsumiert werden. Ich bin Professor in Wien - das sollte eigentlich genügen.

Die Furche: In großer Regelmäßigkeit werben Sie für das Lesen - wobei Sie einmal gemeint haben, der "Trend zum Zweitbuch" sei ungebrochen. Ist Ihre Mission also bereits erfüllt?

Schmidt-Dengler: Sicher nicht, im Gegenteil: Ich habe große Angst, dass das Lesen - eine der menschlichsten Fähigkeiten, die wir haben - zusehends an Terrain verliert. Wenn man das neue Buch von Peter Handke liest, "Die morawische Nacht", so geht es darin um den Leser, den er wieder gewinnen will - den Leser, der mit dem Buch innig umgeht. Lesen, wie es PISA versteht, ist ja nur ein Lesen auf einer merkwürdigen Stufe, die für Technokraten der Pädagogik geeignet ist. Wir verstehen hingegen Lesen in einem Vollsinn, und da ist noch sehr viel zu tun.

Die Furche: Sie haben viele Schüler, sind häufig in den Medien präsent und Direktor des Literaturarchivs - aber den ganz großen, dicken Wälzer haben Sie nicht geschrieben. Haben Sie sich bewusst zwischen eigener Forschung und öffentlicher Rolle entschieden?

Schmidt-Dengler: Es gibt die "Bruchlinien" (Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis 1990, Anm.), die immerhin 500 Seiten umfassen und sich auch gut verkauft haben. Und es gibt die Habilitationsschrift über die antike Mythologie - die ist auch relativ dick. Aber es gibt tatsächlich wenige Bücher, mit denen ich identifiziert werde. Ich habe eine relativ große wissenschaftliche Breite - das war sicher eine bewusste Entscheidung. Ich habe mir gedacht: Man wirkt vielleicht im Alltag mehr als durch ein Buch, mit dem man vielleicht - oder auch nicht - überlebt. Aber ich habe ja noch Zeit: Vielleicht kann ich noch im Alter dieses ganz dicke Buch schreiben.

Die Furche: Derzeit haben es Geisteswissenschafter wie Sie im Wissenschaftsbetrieb nicht immer leicht. Wie bewerten Sie die Rolle, die speziell der Germanistik zugewiesen wird?

Schmidt-Dengler: Uns wird oft gesagt, dass wir wissenschaftlich wenig zu bestellen hätten, dass wir "Soft Skills" darstellen und die einfachsten Sachen betreiben würden. Doch wenn ich einen Nichtfachmann über Literatur reden höre, läuft es mich oft kalt über den Rücken. Es gibt natürlich den ehrlichen Leser, der sagt: Das hat mir gefallen oder das hat mir nicht gefallen. Aber es gibt auch Leute, die so sprechen, als ob ohnehin alles klar wäre. Doch da fehlt der Zugang, das Vokabular, die Fachkenntnis. Manche meinen auch, wir seien nicht genau, wir seien verschwommen. Aber wenn man Physiker plötzlich in Metaphern reden hört, dann denkt man sich: So genau geht es hier auch nicht zu. Da sind unsere poetischen Metaphern oft genauer. Nationalökonomen würde ich gar nicht erst fragen, wie schwankend das Terrain ist, auf dem sie sich bewegen. Das ist der eine Punkt. Der andere ist, dass uns die gesellschaftspolitische Relevanz einfach abgesprochen wird. Es ist natürlich simpel zu sagen: Der Fortschritt erfolgt in den anderen Disziplinen. Aber man würde die Konsequenzen ganz schnell merken, wenn die Geisteswissenschaften aus den Betrieben ausgeschaltet wären: In den früheren sozialistischen Ländern bekamen sie eine unerhörte Relevanz. Ich will nicht sagen, dass ich solche Zustände herbeisehne, aber gerade in Friedenszeiten sollte man uns in Ruhe lassen. Dazu kommt noch, dass wir extrem billig sind. Wir brauchen keine komplizierten Apparaturen: Bücher und ein guter PC reichen völlig. Trotzdem wird an uns kräftig geknabbert. Auch als Leiter des Literaturarchivs merke ich, wie schwer es ist, Gelder für den Ankauf von Manuskripten zu bekommen.

Die Furche: Gerade eben ist es Ihnen aber geglückt, mit Hilfe von Kulturministerin Claudia Schmied den Handke-Vorlass anzukaufen …

Schmidt-Dengler: Ja. Es gibt Momente der Enttäuschung, aber es gibt auch Momente des Glücks, und in diesem Fall hat die Frau Minister sehr schnell und positiv für uns entschieden.

Die Furche: Momente des Ärgers hat Ihnen das Universitätsgesetz 2002 beschert, gegen das sie bis heute ankämpfen - auch als Mitglied des Senats der Universität Wien …

Schmidt-Dengler: Als ich in dieses Gremium hineingegangen bin, habe ich meine politische Kompetenz wahrscheinlich überschätzt. Aber ich bereue es trotzdem nicht, weil ich sehr viel gelernt habe. Auf jeden Fall merkt man jetzt, dass dieses schlampige UG 2002 dauernd verbessert werden muss. Wenn Sie daran denken, welche Katastrophe etwa die Vorbereitung für die Lehramtsstudien darstellt, mit welcher Beschleunigung von uns verlangt wird, ein Bakkalaureat einzuführen, statt sich überhaupt zu fragen, welche bildungspolitischen Konsequenzen das hat!

Die Furche: Im Zuge der Gesetzesnovelle ist auch eine neue Machtverteilung zwischen Rektorat, Senat und Universitäts-Rat geplant. Welche Änderung würden Sie sich wünschen?

Schmidt-Dengler: Ich würde mir wünschen, dass die Institute und Fakultäten mehr Entscheidungsgewalt haben und dass auch der Senat ein entschiedenes Veto einlegen kann. Derzeit liegen ja alle Entscheidungen quasi beim Rektor. Ich habe als Institutsvorstand sechs Jahre lang leidvoll erfahren müssen, wie wenig wir als Individuen noch zu sagen haben. Natürlich gibt es eine Nomenklatura, die zusammenkommt, aber zu der gehöre ich nicht - und zu der will ich auch nicht gehören.

Die Furche: Derzeit wird auch über eine Zulassungsbeschränkung an den Universitäten diskutiert. Würden Sie sich Ihre Studierenden gerne auswählen dürfen?

Schmidt-Dengler: Nein, ich bin für den freien Studienzugang. Natürlich kommen dann auch viele Studierende, die besser wieder das Studium abbrechen, aber ich halte dieses österreichische System für nicht so schlecht. Ich habe selber oft umlernen müssen, weil ich manche Studenten für nicht fähig erachtet habe: Und plötzlich kommen sie mit einer sehr guten Dissertation daher! Der Knopf geht eben unterschiedlich auf: Manche studieren vier Jahre, andere brauchen acht Jahre. Gerade in den Geisteswissenschaften ist das ein Prozess. Diese gestanzten Studenten, dieses Durchjagen durch das Studium ist ganz fürchterlich!

Die Furche: So viel Verständnis für die Jugend überrascht: Schließlich beklagen Sie zugleich den Niveauverlust bei den Maturantinnen und Maturanten …

Schmidt-Dengler: Natürlich gibt es einen Niveauverlust. Man versucht ja in gewisser Weise, mit dem Bakkalaureat die Matura nachzuholen. Was mich manchmal irritiert, ist eine gewisse Lässigkeit, gerade in philologischen Fragen. Auch ein Wegfallen der historischen Dimension ist zu bemerken. Die Frage, wann der Erste Weltkrieg war, wird dann mit dem Satz beantwortet: "Ich glaube, meine Großeltern haben den noch erlebt!" Oder auf die Frage, welche Epoche man Goethe zuordnet, heißt es: "13. Jahrhundert". Und wenn man noch einmal nachfragt, heißt es: "Entschuldigen Sie, Herr Professor, 14. Jahrhundert." Das geht einfach nicht. Ein Chemiker kann ja beim Symbol "S" auch nicht sagen: "Vielleicht Siegellack."

Die Furche: Die Frage, welches Großereignis Österreich heuer in den Bann ziehen wird, könnte wohl jeder Maturant beantworten: die Euro 08. Freuen oder fürchten Sie sich als bekennender Fußball-Aficionado?

Schmidt-Dengler: Mich interessieren solche Großereignisse weniger. Es wundert mich eher, dass jeder Intellektuelle über Fußball redet, als ob er noch nie über etwas anderes gesprochen hätte. In Italien sagen die Kritiker plötzlich: "Wie Proust hat er den Überblick" oder sie bejubeln "die epische Gelassenheit, mit der Roberto Baggio den Ball tritt". Was sind das für Ausdrücke! Und diese Euro-Fanatik nimmt überhaupt groteske Formen an. Was mir besser gefällt, ist ein ordentliches Bundesligaspiel oder ein spannendes Regionalligaspiel, wo man auf den Spielplatz geht und sich identifizieren kann. Peter Handke interessiert sich etwa immer für die Leistungen des FC Numancia im spanischen Soria. "Numantia" war übrigens das Zentrum des kelto-iberischen Widerstandes gegen die Römer, der Name ist also sehr archaisch. Und dort, in diesem kleinen Nest, interessiert Handke der Fußball. Ob man das jetzt mit dem Widerstand in den kleinsten Dörfern Serbiens gleichsetzt oder nicht: So etwas ist interessant - nicht das Millionenspektaktel Euro.

Die Furche: Hat Ihre Identifikation mit Rapid auch etwas Widerständiges?

Schmidt-Dengler: Im Augenblick schon! Mit einem Rapid-Anhang, der loshaut und schreit, kann ich mich aber nicht mehr identifizieren: Da bin ich weg. Ich trage auch keinen grünen Schal. Die Gefahr, unter die Gegner zu geraten und angepöbelt zu werden, ist mir das nicht wert. Außerdem bin ich immer gegen Parteiabzeichen gewesen. Also brauche ich auch kein Fußballabzeichen. Wenn ich am Fußballplatz aufspringe, wenn meine Mannschaft ein Tor schießt, merkt ohnehin jeder, wo ich hingehöre.

Das Gespräch führten Cornelius Hell und Doris Helmberger.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung