Sozialkritischer Realismus

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THE NAVIGATORS

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THE NAVIGATORS

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Nach dem Verkauf der British Rail an private Unternehmen ändert sich der Alltag für eine Gruppe von Gleisarbeitern radikal. Vier Freunde trotzen der Situation, so lange es geht, schließlich wechseln aber auch sie zu einer Agentur, die sie für dieselben Jobs, die sie jahrelang gemacht haben, tageweise vermittelt. Ein eindrucksvoller Film von Ken Loach, der die freie Marktwirtschaft anprangert, indem er ihre Auswirkungen auf den Mikrokosmos einer Gruppe von Arbeitern beleuchtet und sowohl in formaler als auch in erzählerischer Hinsicht konsequent in Bilder umsetzt. Empfehlenswert ab 14.

British Rail gibt es nicht mehr. Für die Gleisarbeiter sind jetzt ständig wechselnde private Unternehmer zuständig, die gewohnten Sicherheiten eines staatlichen Betriebes sind weg; wer will, wird ausbezahlt und kann gehen. Eine Gruppe von vier Arbeitern trotzt zusammen mit ihrem Vorarbeiter den Umständen: Zu tun gibt es zwar nichts mehr, weil die Branche nun den Gesetzen des Marktes gehorcht. Man versucht, sich der Situation anzupassen, solange es geht, aber schließlich versuchen auch die vier Arbeiter, bei einer der Agenturen unterzukommen, die dieselben Jobs, die sie jahrelang gemacht haben, tageweise vermitteln, auch an Leute, die gar nicht dafür ausgebildet sind. Aus Gründen der Kostensenkung werden auch die Sicherheitsvorschriften missachtet, was für einen der vier schließlich tragisch endet.

Sozialkritischer Realismus ist für einen Film von Ken Loach nicht überraschend: Die ersten Bilder sind in fast dokumentarischem Stil gehalten; minutenlang sitzt auch das Publikum bei der Versammlung, bei der der Belegschaft die neuen Eigentumsverhältnisse erklärt werden. Humorvolle Töne kommen dabei nicht zu kurz: Es wird herumgeblödelt, der Vorgesetzte ständig unterbrochen, und man kann mit den Männern mitlachen, die sich der Konsequenzen der neuen Situation noch nicht wirklich bewusst sind.

Der Pausenraum, der hier zum ersten Mal zu sehen ist, bildet auch in weiterer Folge den kommunikativen Mittelpunkt. Hier wird gegessen und dabei diskutiert, ob es besser ist, zu gehen oder zu bleiben, hier wird über die Zukunft geredet, werden Entscheidungen getroffen, wird auch versucht, Widerstand zu leisten. Immer seltener sieht man die Männer draußen an den Gleisen, wo sie sich mit nur wenige Kilometer entfernt stationierten Kollegen um Zuständigkeiten streiten müssen, nur selten sieht man sie auch in ihrem privaten Umfeld, das sich von der beruflichen Situation nicht lösen lässt.

Die Aufteilung der Zuständigkeitsgebiete, die ständig wechselnden Eigentümer und die aus all dem resultierenden Schwierigkeiten erinnern an Schilda; Gipfelpunkt ist dabei eine Szene, in der den Arbeitern befohlen wird, teures, brauchbares Material zu zerschlagen, damit es nur ja nicht der Konkurrenz in die Hände fällt. Ein Arbeiter, der auf die Sicherheitsvorschriften pocht, wird als rebellischer Gewerkschaftler eingestuft und nicht mehr beschäftigt, denn sein Verhalten ist nicht im Sinne einer möglichst hohen Gewinnspanne. Die sich immer mehr zuspitzende Brutalität des Kapitalismus wird konsequent in Bilder umgesetzt, und so muss einer der Freunde am Schluss von einem Zug angefahren werden und daran sterben, weil in der Nacht und ohne einen zusätzlichen Mann zur Absicherung der Gleise gearbeitet wurde. Die genauen Umstände des Todes werden von den anderen noch dazu vertuscht, weil sie selbst sonst ihre Jobs los wären.

Den Bildern sind Jazzklänge unterlegt, und in einer Szene folgt der Rhythmus der Arbeiten an den Gleisen dem Rhythmus der Musik. Ästhetisch inszenierte Bilder dieser Art müssen hier aber eine Ausnahme bleiben, passen nicht zum Konzept des Films; und so fällt auch auf, wie sehr der Arbeiter, der den Kopf seines sterbenden Freundes am Schoß hält, an die Pietà erinnert. Ein eindrucksvoller Film, der die Konsequenzen der freien Marktwirtschaft anprangert und gekonnt filmisch umsetzt.

UK / D / E 2001 - Produktion: Parallax Pictures / Road Movies Filmproduktion / Tornasol Films / Alta Films - Produzent: Rebecca O'Brien - Verleih: Stadtkino - Länge: 95 Min. - Regie: Ken Loach - Buch: Rob Dawber - Kamera: Mike Eley / Barry Ackroyd - Schnitt: Jonathan Morris - Musik: George Fenton - Darsteller: Tom Craig, Joe Duttine, Steve Huison, Venn Tracey, Dean Andrews, Andy Swallow

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