Theater, Ethos, Tod

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ICH GEH NACH HAUSE / Je rentre à la maison / Vou para casa

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Ein vielumjubelter alter Theaterschauspieler erfährt nach einer erfolgreichen Aufführung vom Tod seiner Frau, seiner Tochter und seines Schwiegersohnes. Er lehnt zwar eine Rolle in einer gewalthältigen Fernsehserie ab, springt aber gern für einen erkrankten Kollegen in einer Nebenrolle ein. Als er bei der Probe immer wieder seinen Text vergisst, "geht er nach Hause". Diesen stillen Film um Theater, Ethos, Alter und Tod hat der berühmte portugiesische Regisseur Manoel de Oliveira im Alter von 93 Jahren kreiert und darin wohl auch ein Lebensbekenntnis zur Film- und Schauspielkunst abgelegt. Grandiose Darstellerleistungen und die unspektakuläre Art der Bildgestaltung kennzeichnen dieses Meisterwerk, das von großer Lebensweisheit getragen ist. Künstlerisch hervorragend. Ab etwa 14.

Manoel de Oliveira, geboren 1908 in Porto, Portugal, hat seinen ersten Film 1942 kreiert und seit seinem 80. Geburtstag bis heute nicht weniger als neun international beachtete Filmkunstwerke geschaffen. In diesem seinem bisher letzten Werk schafft er es mit den französischen Schauspielern Michel Piccoli und Catherine Deneuve, ein Filmkunstwerk zu schaffen, das auf Sensationen verzichtet und trotzdem sensationell ist - indem es nämlich die Gewalt, das Leid, den Tod nicht ausspart aber weder spektakulär und schon gar nicht spekulativ ins Bild und ins Gespräch bringt.

Der seit Jahrzehnten hoch verehrte Schaupieler Gilbert Valance wird eines Abends wegen seiner Leistung in Ionescos "Der König stirbt" umjubelt, muss aber kurz darauf erfahren, dass seine Frau, seine Tochter und sein Schwiegersohn bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Er widmet sich zusammen mit der Haushälterin seinem kleinen Enkel Serge, besucht sein Stammcafé und sucht wieder seinen Lebensrhythmus zu erlangen. Ein lukratives Angebot in einer Fernsehserie mitzuwirken lehnt er entrüstet ab, weil er wegen der Darstellung von Gewalt, Sex und Drogen nicht seinen guten Ruf einbüßen möchte. Das Angebot eines amerikanischen Regisseurs in einer Filmadaption von James Joyce's "Ulysses" in einer Nebenrolle einzuspringen nimmt er an. Als er bei der Probe wiederholt seinen Text vergisst, zieht er sich zurück und "geht nach Hause".

Durch die Sparsamkeit der Worte und Bilder geraten alle Einzelheiten zu besonderer Bedeutung, die sich außerdem der persönlichen Interpretation immer mehr anbieten. Besonders Theaterkenner werden hier manche sehr aktuelle Bezüge zur heutigen Kunstpraxis entdecken. Manche werden sich vielleicht nur zurücklehnen und den Frieden genießen, der von der Leinwand her dringt, werden die Harmonie erfühlen, die Kunst unter Gegensätzlichem herzustellen vermag. Möglicherweise aber gibt es eine Brücke dorthin, wovon unsere Schulweisheit sich nichts träumen läßt. Ein Meisterwerk. Walter Aulehla

Portugal / Frankreich 2001 - Produktion: Le Studio Canal Plus / Gemini Films - Produzent: Paulo Branco - Verleih: Polyfilm - Länge: 90 Min. - Regie: Manoel de Oliveira - Buch: Manoel de Oliveira - Kamera: Sabine Lancelin - Schnitt: Valérie Loiseleux - Darsteller: Michel Piccoli, Catherine Deneuve, John Malkovich, Antoine Chappey, Isabelle Ruth

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