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Mahnende Vergangenhei

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Als vor 25 Jahren Angst und Bombenlärm des zweiten Weltkrieges allmählich abgeklungen waren, Millionen Kämpfer von allen Fronten zum ersten Mal wieder ungestört in einem weißbezogenen Bett schlafen konnten, da gaben viele von uns sich insgeheim und öffentlich das Versprechen: Wenn wir in Zukunft einmal besonders unzufrieden sind und mit unserem Geschick hadern, dann wollen wir uns dieser fürchterlichen Stunden innerer und äußerer Bedrückung erinnern. Die Beschwörung dieses Gelöbnisses ist in den vergangenen zweieinhalb Dezennien im Schatten steigender materieller Prosperität immer schwächer geworden. In diese allzu menschliche' Vergeßlichkeit brachte uns der Bildschirm während der vergangen Woche aus unterschiedlichsten Aspekten Augenblicke heilsamer Besinnung. Die von Jörg Mauthe und Werner Stanzl im Kommentar gegenüber den Amerikanern nicht immer ganz faire, aber optisch recht aufschlußreiche Dokumentation „27. April — Wiedergeburt einer Republik“ demonstrierte einen wesentlichen Akzent zum Thema „Menschliche und politische Freiheit“. Weniger ernst, aber trotzdem nicht minder die Zeitumstände decouvrierend nahm sich in dieser Vergangenheitsrevue der von Heinz Conrads ansprechend und unaufdringlich präsentierte Spaziergang durch die dreißiger Jahre unter dem Titel „Kleiner Mann — was nun?“ aus. Künstlerischer und geistiger Höhepunkt in diesem zumeist makabren Reigen mit dem Tenor „Mahnende Vergangenheit“ war schließlich die von Hans Lietzau mit beklemmender Dichte und ätzender Schärfe getränkte Inszenierung der erregenden zeitgeschichtlichen Konfrontation von Günter Grass „Die Plebejer proben den Auf-st a nd“. Dieses Schlüsselstück um die Person Bert Brechts und seine Auseinandersetzung mit der gescheiterten Auflehnung der ostdeutschen Arbeiter vom 17. Juni 1953 wurde — unterstützt durch eine großartige schauspielerische Besetzung mit Rolf Henniger an der Spitze —i zu einem ergreifend-düsteren Fanal der Diskrepanz zwischen politisch-künstlerischem Intellektualismus und bieder-gläubiger, weltanschaulicher Linientreue, die über Gebühr strapaziert, immer wieder bedrohliche Eruptionen heraufbeschwören wird.

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