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Alpbach: Ein steifes Ritual

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Das Europäische Forum Alpbach will Gelegenheit zu einem freien, ungezwungenen Gedankenaustausch ohne ständige besorgte Rücksichtnahmen auf Partei- und sonstige Linien geben. Bei den Wirtschaftsgesprächen kann von all dem leider keine Rede sein: Sie sind ein steifes Ritual, wie es in gleicher Besetzung überall und zu jedem Anlaß stattfinden könnte (und auch stattfindet).

Der Unterschied zur sonstigen Alpbacher Szene manifestiert sich schon rein äußerlich: Wer, in feinstes Jägerleinen gewandet, seinem chauffeurgesteuerten Mercedes entsteigt, setzt sich nicht in die Wiese, um zu philosophieren, sondern will präsent sein. Blaublütige und rote Aristokraten unterscheiden sich dabei bestenfalls dadurch, daß letztere mangels Trachten-Know-how ihren Anzug vor dem Tragen aufbügeln lassen.

Wie spontan es bei den Wirtschaftsgesprächen in Alpbach zugeht, kann man aus einer Bemerkung des Vizepräsidenten (und zukünftigen Präsidenten) der Deutschen Bundesbank ermessen. Karl Otto Pöhl begann sein Referat mit der Feststellung, daß er leider nicht sagen könne, was er gern sagen möchte.

Selbst die Aktivitäten am Rand des Seminarbetriebes sind während der Tage des Wirtschaftsgesprächs verkrampft. Man spielt nicht Tennis, sondern man spielt mit dem … Tennis (Vizekanzler Androsch beispielsweise mit dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages).

Und wenn einem Vizekanzler Androsch zu einer kleinen Wanderung einlädt, kann man, so ein Ordinarius, einfach nicht nein sagen - selbst wenn man Bergsteigen wie die Pest haßt. So )yird nur zu leicht verständlich, daß der Rest von Alpbach aufatmet, wenn das Wirtschafts-Establishment Alpbach nach drei Tagen wieder verlassen hat: Es gibt nicht einen Funken von Integrationswillen, keine Bereitschaft, wenigstens für ein paar Tage auf die liebgewordenen Statussymbole zu verzichten.

Mit schuld an der Misere ist sicherlich, daß die bei den Wirtschaftsgesprächen zahlreich anwesenden Medienvertreter ihren Alpbach-Trip stets mit einer aktuellen Berichterstattung rechtfertigen wollen (oder müssen). Und wenn gerade Zwentendorf aktuell ist, dann wird die in Alpbach anwesende Politik- und Wirtschaftsprominenz - Tagungsthema hin, Tagungsthema her — eben dazu verhört.

Da nützen alle guten Vorsätze nichts. Die heuer von den Zeitungs- und Rundfunkleuten ausgegebene Parole „Kein Atom” hielt nur bis zum Anruf eines Chefredakteurs: brauch dringend a Atom- g’schicht - frag’n S’ den Androsch und den Igler!”

Und das Thema des Wirtschaftsgesprächs, die Zukunft des europäischen Währungssystems? Es war in Alpbach kein Gesprächsthema.

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