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Kiemes Alpbacher Alphabet

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A: Alpbach, Tiroler Gebirgsdorf, Höhenlage 973 m, wohl zu unterscheiden von Inneralpbach (s. d.), etwa 800 Seelen, treibt Fremdenverkehr. Durch Alpbach flieljt der Alpbach. Es läßt sich heute nicht mehr feststellen, ob Alpbach nach dem Alpbach Alpbach heifjt, oder ob der Alpbach Alpbach den Namen Alpbach gegeben hat.

B: Brixlegg war lange Jahre D-Zug- stafion. Allein nur einen einzigen Werktag im Jahr. Ausgerechnet an diesem Tag beginnen in Alpbach die „Internationalen Hochschulwochen" des österreichischen College.

C: College, österreichisches. Im Telephonbuch unter österreichisches College zu finden.

D: Dackelhunde fauchen in Alpbach regelmäßig nur während der Hochschulwochen auf.

E: Europa wird im Europäischen Forum Alpbach groß geschriehören auch hierher, Niehl zu ver- gessen der Baum de.r Erkenntnis,, unter dem der Arbeitskreis „Sprache - Erkenntnis - Wirklichkeit” sich zurückzog, wahrscheinlich, um auf diese Weise wenigstens etwas mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen…

F: Fujiyama, s. Gailenberg,

G: Galtenberg, neben dem Gratispitz einer der schönsten Aussichtspunkte der Alpen dieser Gegend. Seiner eigenartigen Form wegen wurde der Galtenberg auch schon der „Fujiyama Tirols" genannt.

H: Hochschulwochen haben, entgegen ihrer Bezeichnung, nur wenig mit der Hochschule zu tun (Gott sei Dank). Hochschüler und Hochschullehrer können sich auf gleicher Höhe treffen und einmal vernünftig miteinander reden, und der Student kann den Herrn Professor zu einem Schwarzen oder einem Gin-Fizz einladen.

I: Inneralpbach, ein Weiler, vier Kilometer alpbachauf. Die Unterscheidung zwischen Alpbach und Inneralpbach ist eine Frage des in Alpbach kultivierten „Irrelevantismus". Relevant ist sie nur für die Teilnehmer, die in Inneralpbach wohnen.

K: Konzerte, tragen neben Ausstellungen, Filmvorführungen usW. viel zum geistigen Klima Alpbachs bei. Sie bringen nicht nur eine Auflockerung der Atmosphäre, sondern auch hervorragende Musiker der Gegenwart ins Gespräch mit Philosophen und Fachgelehrten.

L: Lautsprecher sind während der Hochschulwochen beinahe in jedem Bauernhaus angebracht, so daß jeder Teilnehmer jederzeit erreicht werden kann. Es ist beinahe wie in „1984": „Der große Bruder spricht dich an . ..”

M: Der Mensch steht im Mittelpunkt der Alpbacher Veranstaltungen. Daher standen sie auch schon in vergangenen Jahren unter dem Motto: „Weltbild und Menschenbild”, „Was ist der Mensch?”. Da man aber in Alpbach gebildet ist, spricht rnan weniger von Menschlichkeit als von Humanismus. Es ist auch nicht dasselbe, wurde mir einmal erklärt.

N: Nobelpreisträger sind in Alpbach keine Seltenheit mehr, seitdem Schrödinger, Meitner und andere sich Jahr für Jahr hier ein Stelldichein gaben und ersterer, seinem Wunsch entsprechend, auf dem Alpbacher Friedhof zur letzten Ruhe gebettet wurde. Mit Titeln und Würden kann man den Alpbachern schon lange nicht mehr imponieren.

O: Offenheit isf eines der Geheimnisse des Erfolges des Europäischen Forums Alpbach. Hier kann jeder mif jedem über alles debattieren, sogar der Deutsche mit dem Franzosen über die EWG. Die Teilnehmer sind eine „offene Gesellschaft" geworden.

P: Philosophie, phraseologische Bezeichnung für jede Art von Geschwätz. Professor Popper: „Reden wir vernünftig, treiben wir keine Philosophie!"

Q: Quantenphysik und Gesell- schqftsprobleme — es gibt wohl k We ßTleute IfEfewegöSde 5 F a4fesfeftüng, die hier noch nicht ‘debattiert Y/àrifė;’ ‘Vbfeėt man aber immer wieder versucht, die allgemeinen Tendenzen und Auswirkungen aufzuzeigen —, was freilich nicht immer gelingt. Fachleute sind eben Fachleute. Da kann der Laie nur lächeln.

R: Regen ist in Alpbach nur unerwünscht, stellt sich leider jedoch immer wieder ein. Er isf das sicherste Mittel, die Teilnehmer zu regelmäßiger Arbeit zusammenzubringen. Leider hat man so wenig Einfluß auf ihn, da er rationalen Argumenten nicht zugänglich ist.

S: Die Simultandolmetschanlage isf das Sorgenkind der Alpbacher Veranstaltungen: Professoren sprechen viel und schnell bei Plenarvorfrägen, haben meistens keine Manuskripte, und die Dolmetscher schwitzen bei diesen Sommerfreuden …

T: Tirol, wird in Tirol nur mif y geschrieben. (Im Dienste des Fremdenverkehrs.)

U: Urlaub kann man die Zeit in Alpbach wohl kaum nennen, es sei denn, man wäre Utopist.

V: Volkslieder werden meist erst gegen Schluß der Veranstaltung gesungen. Leider. Aber erst das abschließende Bergfeuer weckt die Erinnerung an die Lieder der Heimat.

W: Wissenschaft, Vorwand für Wissenschaftler und solche, die es nie werden wollen, einmal Tiroler Bergluft zu atmen. Dies ist die ideale Verbindung von „Wissenschaft und Zukunft”.

X: Das X, das bekanntlich auch zehn bedeutet, stand diesmal Vor dem Titel der Veranstaltung, der hier nicht x-beliebig wiederholt sei.

Y: Yugoslawien, der letzte Staat nach dem französischen Alphabet, der in Alpbach vertreten war.

Z: Das Zillertal unterscheidet sich vom Alpbachtal dadurch, daß man dort besser jodeln kann. Dafür haben wir, sagen die Alpbachtaler, andere Vorteile. Aber die Zillertaler bezweifeln das sehr, und man wird es ihnen wohl auch nie erklären können.

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