Werbung
Werbung
Werbung

Seit 40 Jahren sucht Ingrid Kurz in Alpbach als Simultandolmetscherin nach den richtigen Worten. Ihre prägendsten Erlebnisse hat sie Doris Helmberger erzählt.

A black hole has no hair." Es war dieser Satz, der Ingrid Kurz endgültig ins Schwitzen brachte. Was um Himmels willen sollte das sein: Eine ironische Pointe? Ein Witz? Ein Versprecher? Oder doch heiliger, kosmologischer Ernst? Für tiefgründige Reflexionen blieb Kurz keine Zeit: Schließlich musste sie dem gespannten Auditorium hier und jetzt, spontan und simultan die passende Übersetzung des Kosmologen-Sagers liefern. Nach einer langen Schrecksekunde entschied sie sich schließlich für Wortwörtlichkeit: "Ein schwarzes Loch hat keine Haare." "Bis heute habe ich das nicht ganz verstanden", erinnert sich die aus zahlreichen ORF-Live-Übertragungen bekannte Dolmetscherin. "Aber wir haben immerhin mittlerweile festgestellt, dass dieser Ausspruch gang und gäbe ist - und von uns zum Glück durchaus richtig wiedergegeben wurde."

Mit Latein am Ende

Simultandolmetscherinnen wie Ingrid Kurz (die Mehrheit dieser Zunft ist traditionsgemäß weiblich) haben in Alpbach ein schweres Los: Hier, wo Physiker, Genetiker, Kunsthistoriker oder Wirtschaftswissenschafter über ihren Forschungsbereich - und weit darüber hinaus - philosophieren, sind sie nicht selten mit ihrem Latein am Ende. "Trotz großer Vorbereitung hat es nicht immer funktioniert, aber man hat von Mal zu Mal dazugelernt", sagt die 60-Jährige, die heute als Professorin am Dolmetsch-Institut der Universität Wien, als freie Konferenzdolmetscherin und im Kuratorium des Forums Alpbach tätig ist.

Gelegenheiten zum Lernen gab es für Kurz jedenfalls genug: Seit ihrem ersten Einsatz im Jahr 1965 hat sie nur zwei Mal - "aus persönlichen Gründen" - das Zusammentreffen der Granden im kleinen Tiroler Bergdorf verpasst. An ihre Premiere als 21-Jährige erinnert sich Kurz noch gern zurück: "Der damalige Leiter des Dolmetsch-Teams ist nach der Methode ins kalte Wasser springen' vorgegangen und hat mir gleich die Begrüßungsansprache des Forum-Präsidenten Felix Pronay überantwortet. Und dann hat er nur gemeint: Das passt."

Kurz' Translationen vom Englischen ins Deutsche (und zurück) sollten noch viel öfter passen - auch wenn die Alpbacher Mischung aus Wissenschaft, Wirtschaft, Philosophie und Politik nie leicht zu übersetzen war. "Üblicherweise befasst sich eine Konferenz mit einem Thema. Und darauf bereitet man sich vor. In Alpbach wechselt das von Tag zu Tag", erklärt Kurz. "Doch das macht es auch so spannend."

Entsprechend lang ist die Liste jener Redner, deren Worte die studierte Dolmetscherin und Psychologin mit besonderer Vorliebe in eine andere Sprache gegossen hat. Von den Politikern gehört bis heute Erhard Busek zu ihren Lieblingen: "Busek ist immer eine Herausforderung: Er ist pointiert und witzig. Dem ad hoc gerecht zu werden, ist nicht leicht." Nicht viel leichter war die passgenaue Übersetzung des Wirtschaftswissenschafters Fritz Machlup oder des Vorgängers von Alan Greenspan als Chef der Federal Reserve Bank, Paul Volcker.

Höhepunkte ihrer beruflichen Laufbahn waren aber die Dolmetschungen großer Philosophen, erzählt Kurz - und denkt hier an Hans Albert, den Neuseeländer Alan Musgrave und natürlich an Sir Karl Popper. Nicht nur seine Worte, auch eine Begegnung mit ihm ist ihr im Gedächtnis geblieben: "Ich habe Popper einfach im Böglerhof angesprochen, weil ich mir von ihm ein Buch signieren lassen wollte. Er hat damals schon sehr schlecht gesehen und gemeint: Ich gebe Ihnen gern ein Autogramm, aber zuvor muss ich...'. Und dann hat er im Buch auf Seite 149 geblättert - und eigenhändig einen Druckfehler ausgebessert."

Schnaps gegen Kälte

Diese "geballte Ladung großer Persönlichkeiten auf engstem Raum" war für Ingrid Kurz stets das Hauptcharakteristikum von Alpbach, dem "österreichischen Zauberberg". Ebenso typisch sei der Hang zu Zwanglosigkeit und Improvisation, meint sie - und erinnert sich dabei wieder an ihre Anfangszeit zurück: "Damals waren die Dolmetsch-Kabinen nicht eingebaut, sondern sie standen als kleine Holzverschläge im Freien." Um sich bei kühlem Wetter nicht den Tod zu holen, behalf man sich mit Decken. Und nach der Arbeit mit Hochprozentigem, wie Kurz verrät: "In die Wassergläser haben wir zum Teil Obstler gefüllt. So ist das gelaufen."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung