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Der Fürtfundvierzigergeist

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Also fahren wir. Am 18. August. Uber Ischl nach Alpbach. Dann geht es weiter nach Fulpmes. Fürs Fernsehen. Wieder einmal Fernsehen.

Ich war noch nie in Ischl. Bei der Kaisermesse. Und in Alpbach auch nicht. Der Fritz Molden hat mich eingeladen. Zur Vierzigjahrfeier.

Das Wiedersehen mit Molden hat mich merkwürdig berührt. Fast gerührt. Mein Verleger von einst. Ich sehe ihn vor mir sitzen. Hoch über den Dächern von Wien. In einem großen Raum. Beinahe ein Saal. Die Kirchen der Stadt schauen zum Fenster herein.

Jetzt ein kleiner Cafehaustisch im Landtmann. Zwei Portionen Steirischer Wurstsalat vor uns. Das SPÖ-Haus im Rücken. Der Molden hat viel verloren. Nur sein Gesicht nicht. Ein österreichisches Gesicht. Ein österreichisches Schicksal.

Dem Fritz Molden zuliebe fahre ich nach Alpbach. Meinem Großvater zu Ehren nach Ischl. Vor .hundert Jahren wurde er ausgemustert. Am 18. August 1884. Das Fünfzigjahrjubiläum haben wir noch gemeinsam gefeiert.

Zum Frühstück sagte ich ein selbstverfaßtes Gedicht auf. Es begann mit den Worten „Immer Schwarzgelb ist eine Zier." Das reimt sich leicht auf Panier und Offizier.

Dann fuhren wir zur Kaisermesse in die Kapuzinerkirche. Großvater ging in Uniform. Mit den roten Aufschlägen. Die Messe las der Weihbis*chof Ernst Seydl. Zum Schluß sangen alle das „Gott

erhalte".

Anschließend gingen wir hinüber in die Johannesgasse. Zur alten RA VAG. Wir besahen die Schäden, die bei den Kämpfen am 25. Juli entstanden waren.

In Ischl erklingt das „Gott erhalte" wieder. Ich kann die Tränen nicht zurückhalten. Ich will es auch nicht. Ich stehe in einer Ecke auf dem Chor.

Auf einer Leinwand neben dem Altar erscheinen die Texte. Alle

drei Strophen. Damit alle mitsingen können. Funktionell ist die Kirche geworden.

Die zweite Strophe beginnt mit den Worten: „Fromm und bieder, wahr und offen." Vor der Kirche stoße ich auf den sozialistischen Anwalt, dessen Name täglich in der Zeitung steht. Im Zusammenhang mit einer Geschichte, in der es gar nicht „fromm und bieder, wahr und offen" zuging. Und zugeht. - Er war auch bei der Kaisermesse.

In Alpbach grüßen Fahnen und Blumen die Gäste. Und die Häuser des „schönsten Dorfes von Österreich". Der Fritz Molden springt über ein Gatter, um schneller vom Paula Preradovic-Haus ins Sekretariat zu gelangen.

Am Abend erzählt er bei der Begrüßung die Geschichte von Alpbach. Er beschwört den Geist von 1945 herauf. Ohne rhetorische Beschwörungskünste. Schade, daß kein Tonband mitgelaufen ist.

Alpbach scheint in der Tat noch etwas vom Geist von 1945 zu beherbergen. Und auszustrahlen. Es ist nur ein wenig älter geworden. Angealtert. Aber das macht nichts. Ob die jungen Leute das vom Fünfundvierzigergeist noch verstehen?

In den Tagen nach Alpbach überreicht mir der Bürgermeister von Kuf stein das Heimatbuch seiner Stadt. Da steht über das Jahr 1945 ein einziger Satz: „Siegreiche Ausländer sperrten .feindliche' Inländer ein, nämlich Mitglieder der NSDAP und ihrer Formationen beziehungsweise Funktionäre der NS-Verwaltung."

Die Heldenorgel darüber! Mit allen rauschenden Akkorden. Ich werde sie dennoch in meine Fernsehproduktion einbauen. Ich werde mich ihres Klanges erfreuen. Des schönen „Heiligen Landes" Tirol. Des schönen Kufstein.

Und ich werde an meine Helden denken. Auch an den Fritz Molden. An seinen Bruder. An seine Eltern. An alle, die ihr österreichisches Gesicht nicht verloren haben. Die etwas für die Heimat taten. Und tun — wie in Alpbach.

Vergessen die „Formation", die „Funktionäre"! Europa ist undenkbar ohne den Anstoß von 1945.

Es ist Nacht geworden. Der nadelspitze Turm von Alpbach ritzt den dunklen Himmel. Eine Sternträne löst sich und fällt auf die Erde herab. Es gibt vieles zu beweinen. Vor allem das, was in den schönsten, tiefsten Gesprächen unausgesprochen bleibt. Und zwischen den Menschen steht.

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