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Als Maos Frau noch mächtig war…

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Beobachter Pekings und der politischen Szenerie Rotchinas waren ein wenig verblüfft und konnten ihre Neugierde nicht zurückhalten: „Warum erst jetzt?” fragten sie sich selbst und die Autorin des vor kurzem auf den Markt gekommenen Buches „Genossin Tschiang Tsching”.

Was die politischen Journalisten stutzig machte, war die „Koinzidenz von Verhaftung und Veröffentlichung” (Süddeutsche Zeitung). Denn Roxane Witke brauchte viereinhalb Jahre, bis sie ihr Buch geschrieben und veröffentlicht hatte. Als sie die Interviews mit Maos Lebensgefährtin machte, mischte Tschiang Tsching noch an den Schalthebeln der Macht in ęler Volksrepublik China mit, inzwischen ist sie in den Augen der fassen, die sie geführt hatte, nur noch eine „Intrigantin”, ein „bürgerliches Karriere-Weib” der übelsten Sorte.

Es begann im August 1972: Das chinesisch-amerikanische Tauwetter in den politischen Beziehungen schwemmte auch die US-Sinologin Roxane Witke ins „Reich der Mitte”, wo sie das chinesische Frauenproblem studieren wollte. Eine Begegnung mit Tschiang Tsching war eingeplant. Zustande kamen schließlich insgesamt 60 Stunden lang dauernde Interviews, denn Maos Frau hatte etwas Großes vor. Sie erzählte der Amerikanerin ihr Leben, wollte eine autorisierte Biographie, weil sie sich um ihre historische Anerkennung bemühte. Der Gefahr mußte sie sich zu diesem Zeitpunkt schon bewußt gewesen sein, schließlich hatte sie sich über die Gesetze der kommunistischen Bewegung hinweggesetzt.

Der damalige (und auch jetzige) Sicherheitschef Hua Kuo-Feng wußte von den Interviews, die Tschiang Tsching der Sinologin gab, genauso wie Tschou En-Lai und andere „führende Genossen”. Hua Kuo-Feng, der Nachfolger Maos also, der Tschiang Tsching Vier Jahre später zur Unperson machte.

Roxane Witkes „Rohmaterial” für ihr Buch waren eigene Notizen, Dokumente und schon vorhandene Literatur. Was sie daraus zusammenbastelte, ist mehr als die Lebensgeschichte einer Frau, die - in ärmlichen Verhältnissen geboren und aufgewachsen - zur „mächtigsten Frau dieses Jahrhunderts” (Die Zeit) avancierte. Das Buch ist nicht nur dramatisch, es ist politisch und historisch interessant, weil es Licht in dunkle Stellen der jüngsten chinesischen Geschichte wirft und es zeigt die Stärken und Schwächen eines Menschen, der an der Spitze des Volks reichsten Staates der Erde steht.

Das Drama der Tschiang Tsching - und darauf hat Roxane Witke nicht vergessen - spielt sich in einer durch und durch patriarchalischen Gesell-Schaft ab, in der Frauen normalerweise nichts verloren haben. Tschiang Tsching konnte sich durch Zielstrebigkeit, Skrupellosigkeit und eisernen Willen behaupten. Und doch ist sie in dieser Männerwelt letztlich gescheite rt.

Das Buch ist sinnvoll ergänzt durch ein Personen- und Begriffsverzeichnis,’ eine Zeittafel, historische Karten und zahlreiche Photos (teilweise von Tschiang Tsching selber aufgenommen). Gesamteindruck: Ein Geschichtsbuch des modernen China,. daß in der Bibliothek eines politisch interessierten Menschen nicht fehlen sollte.

GENOSSIN TSCHIANG TSCHING. Die Gefährtin Maos erzählt ihr Leben. Von Roxane Witke. 614 Seiten, Piper- Verlag, München, öS 292,60.

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