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Analyse des Atheismus

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Zwei ausgezeichnete Bücher, die zum Verständnis des religiösen, bzw. areligiösen Zeitgeistes unerläßlich sind: „Weltphänomen Atheismus” und „Der moderne Agnostizismus”. Für das erste zeichnet als Herausgeber Wucherer-Hulden-feld. Sein eigener Beitrag zu einer philosophisch-theologischen Analyse und Sinndeutung des Atheismus beweist Kenntnis und Verständnis für die Vielschichtigkeit des Problems.

Wie paradox das Phänomen des Atheismus sein kann, zeigt beispielsweise die Feststellung des ersten Beitrages, daß es auch unter Christen eine nicht unerhebliche Anzahl von Atheisten gibt, was Wucherer dann noch schärfer formuliert: der moderne Atheismus ist ein spezifisch nach-christliches Weltphänomen, oder wenn Max Josef Suda den Atheismus als Konsequenz extremer theologischer Ansätze aufweist (z.B. in der Gott-ist-tot-Theologie).

Heinz Robert Schlette betrachtet eine moderne Denkweise, die Uber die Alternative Theismus-Atheismus weit hinausreicht und „im Grunde unsere gesamte Lebensform betrifft”, nämlich der Agnostizismus. Der Atheismus hat absolut nicht die Probleme zu lösen vermocht, die angeblich der Theismus verschuldet hatte, und geriet so selbst in die Verlegenheit, sich legitimieren zu müssen, genauso wie der Theismus.

Dazu kommt die innerkirchliche Problematik vom ersten zum zweiten Vatikanischen Konzil. Das erste Vatikanum hat unter dem Druck des Modernismus die Lehre von der natürlichen Erkennbarkeit Gottes verkündet und Pius X. zog ziemlich massiv mit einer Enzyklika gegen den Agnostizismus zu Felde; das Zweite Vatikanum spricht vom Atheismus, nicht aber vom Agnostizismus, weil man vielleicht meinte, unter diesem Oberbegriff vieles zusammenzufassen.

Aber so leicht kann man nach Schlette den Agnostizismus nicht abtun. Der Atheismus kann nicht mehr mit derselben Selbstsicherheit, Militanz und Polemik vertreten werden, wie noch im 19. Jahrhundert. Atheistische wie theistische Simplifizierungen bis Dogmatisie-rungen haben das Gegenteil erreicht, nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit. Agnostizismus hat mit Resignation, Gleichgültigkeit oder Lauheit nichts zu tun. „Grundsatz des Agnostizismus ist die Forderung, das Gebiet des sicheren Wissens nicht mit Behauptungen zu überschreiten”. Von den Wissenschaften her, mehr aber noch vom Theodizeeproblem her - der Frage nach dem Leiden, dem Bösen, den Absurditäten - bezieht der Agnostizismus seine Aktualität. Daher in beiden Büchern Studien zu Kant, Hegel, Marx, Bloch, Camus usw.

Es kann nur wiederholt werden: zwei ausgezeichnete wie unerläßliche Bücher zum Verständnis des Glaubens und Nichtglaubens in der Gegenwart.

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