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Angst vor Neonazis

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„Die Deutsche Demokratische Republik hat getreu den Interessen des Volkes auf ihrem Gebiet den deutschen Nazismus ein für allemal ausgerottet.“ So stand kürzlich im Zentralorgan „Neues Deutschland“ zu lesen. Die Wirklichkeit ist anders.

Die neueste Ausgabe des kircheninternen Monatsmagazins „Umweltblätter“ befaßt sich mit dem Phänomen des Neonazismus in der DDR. Anlaß: ein Rock-Konzert in der Ostberliner Zions-kirche vor etwa 1.000 Leuten, das vor nicht allzu langer Zeit von etwa 400 „Skin heads“ unter „Sieg HeiT'-Rufen aufgelöst wurde. Die „Umweltblätter“ wörtlich: „Man hörte Wortfetzen wie .Kommunistenschweine' und .Diese Schweine raus aus deutschen Kirchen'. Dabei flogen diverse leere Flaschen und es kam zu brutalen Szenen. Krankenwagen und die Polizei kamen auch nicht auf Drängen einzelner Konzertteilnehmer zu Hilfe. Zitat eines Polizisten: ,Ich muß erst einmal meinen Vorgesetzten fragen'.“

Und während die Ordnungshüter nach Auskunft von Opfern beide Augen zudrückten und von offizieller Seite dem Berichterstatter jegliche Stellungnahme verweigert wurde, griffen „anarchistisch“ orientierte Punks und Langhaarige zur Selbsthilfe. Sie riefen illegal eine „Antinaziliga“ ins Leben und verteilten in diesen Tagen Flugblätter mit der Aufforderung: „Leistet den Faschisten Widerstand! Vernichtet Nazilosungen an Häuserwänden!“

So putschten sich innerhalb kürzester Zeit zwei Außenseitergruppen hoch und ließen Erinnerungen an die Weimarer Zeit aufkommen. Offiziell herrscht die Ansicht, in der DDR habe der antifaschistische Kampf über alle Übel der Vergangenheit gesiegt. Doch Lehrer wissen von Hakenkreuzschmierereien an Schulen zu berichten, Judenwitze sind in den Kneipen an der Tagesordnung, und die Parole,.Neger raus“ tauchte in Rostock oder Weimar etwa zur gleichen Zeit auf wie die Ausfälle gegen Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland.

Der engagierte Ostberliner evangelische Pfarrer Rainer Ep-pelmann hat in einer seiner jüngsten Predigten von einer „neuen Qualität des alltäglichen Rassismus“ in der DDR gesprochen, „seitdem rechtslastige Jugendbanden offen faschistoide Gewalt ausleben“.

In Ostberlin fragt man sich, ob es geschlossene Nazizirkel gibt und wer deren Denker sind. Die Gerüchte über die „Skin heads“ haben bisher nur zu einer Einschränkung des ohnehin geringen Spielraums regimekritischer Künstler geführt. Die Angst vor den „Skin heads“ wird von den Behörden beispielsweise dazu benutzt, um Druck auf die Basisinitiative ,.Kirche von unten“ auszuüben. Ihr wurde vom Ostberliner Sekretär für Kirchenfragen empfohlen, ein Rock-Konzert abzusagen, da dies Schlägertrupps geradezu anziehe.

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