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Auf der Suche nach dem verlorenen Koffer

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Wer gerne in Wünschen verreist, hat den magischen Durchschlupf zu den Büchern gefunden und wird seine helle Freude an Kopfs neuem Buch„Papas Koffer" haben. Der Ich-Erzähler trägt den Spitznamen Hemingstein, hat früh beide Eltern verloren und wächst bei der Großmutter in Thulsern auf, die ihn das Leben und das Lesen lehrt. Seit er die erste Zeile Hemingway gelesen hat, sehnt sich der Waisenknabe nach „seinem Papa" im Universum der Bücher; das Paradies stellt er sich als Bibliothek vor.

Eines Tages stößt er auf seinen „großen Fisch", auf die Geschichte von dem Koffer mit Manuskripten Hemingways, der auf dem Weg von Paris nach Lausanne verschwunden ist. Wenn Bruce Chatwin wegen eines Stückchens Haut nach Patagonien aufbrechen konnte, weshalb sollte es ihm nicht möglich sein, wegen eines Koffers kreuz und quer rund um den Globus zu reisen? Also verläßt er Thulsern; „lauter magische Orte" markieren den „blauen Weg": Venedig, Madrid, Key West.

Ist Hemingways Koffer-Obsession auch Wahnsinn, so hat sie doch Methode, ähnlich wie die Büchernarrheit Don Quijotes. Im riesigen Teppich der Weltliteratur hängen alle Fäden

zusammen; und jeder knüpft mit, vor allem wir Leser, wenn wir wünschen, der Bibliomane möge den ersehnten Koffer finden. Letzte Hoffnung ist die Dietrich, vereinsamt in Paris das Sterben lernend, die Hemingway liebevoll „the Kraut" genannt hatte und der die Deutschen nie verziehen haben. Sie besaß den Koffer zeitweilig, heißt es; und nach ihrem Tod ist in der Presse zu lesen, sie habe 700 Koffer hinterlassen, darunter einen mit unbekannten Manuskripten...

Eine der letzten und schönsten Szenen des an wunderbaren Momenten reichen Buches zeigt Hemingstein und seinen Freund Mürzig auf einer Parkbank der Irrenanstalt: zwei rührende Senioren, die sich ihre Seifenblasenträume nicht nehmen lassen, weil Papa unendlich fehlt. „Papas Koffer" ist der Glücksfall einer zauberhaften Liebeserklärung an das Lesen und das Leben, erzählt in einer gelassen-heiteren Melancholie, die um die Vergänglichkeit der Schönheit ebenso weiß wie um die Würde der Vergeblichkeit. Das pralle Ausfabulieren zurücknehmend, beschränkt sich Köpf auf unscheinbare Gesten, an Hemingway geschult: Nur die Spitze des Eisbergs wird sichtbar, und der Leser schreibt das Buch zu Ende.

PAPAS KOFFER. Von Gerhard Köpf. Luch-terhand Literaturverlag, Hamburg 1993. 192 Seiten, öS 265,-.

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