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Biene und Menschen

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Ein Soldat kam zu Besuch in eine bäuerliche Kollektivwirtschaft und brachte seinen Verwandten als Geschenk ein Glas Blütenhonig mit. Der Honig schmeckte den Bauern so gut, daß sie beschlossen, in ihrem Dorf eine Bienenzucht einzurichten. Da sich aber bisher niemand mit der Imkerei befaßt hatte, stand man nun vor der Notwendigkeit, alles dafür Erforderliche zu beschaffen: Man mußte Bienenstöcke kaufen, die Bienen aus dem Wald in die neuen Quartiere umsiedeln usw. Das schien den Bauern nun doch zu langwierig, denn sie wollten sich ja so schnell wie möglich an Honig delektieren.

Unter den Bauern befand sich ein Mann, Iwan Panfllowitsch, nicht mehr jung — so gegen die Siebzig —, der sich in seiner Jugend mit Bienenzucht befaßt hatte. Dieser sagte: „Um noch in diesem Jahr Tee mit Honig trinken zu können, muß man sich dorthin wenden, wo Imkerei betrieben wird, und alles das kaufen, wovon wir träumen.“

Die Bauern waren von dieser Idee begeistert und meinten: „Geld haben wir genug. Kaufen wir eine ganze Anlage in vollem Betrieb, zusammen mit den in den Körben sitzenden Bienen.“

Man gab Iwan Panfllowitsch das nötige Geld und schickte ihn in die Stadt Tambow. — Er kommt also nach Tambow. Dort wird ihm gesagt: „Sie sind gerade zur rechten Zeit gekommen. Drei Dörfer in unserer Umgebung sind nach dem Fernen Osten umgesiedelt worden, ihre Bienenstöcke aber haben hierbleiben müssen. Diese können wir Ihnen billig verkaufen. Es bleibt nur die Frage offen: Wie wollen Sie die Bienen transportieren? Die Ware, um die es sich hier handelt, ist sozusagen beflügelt; bei der ersten sich bietenden Gelegenheit werden Ihnen die Bienen davonschwirren, und wir befürchten, daß Sie am Ende mit den leeren Körben zu Ihren Freunden zurückkehren.“

Darauf antwortete Iwan Panfllowitsch: „Irgendwie werde ich sie schon heimbringen. Ich kenne die Bienen; meine ganze Jugend habe ich mit ihnen verbracht.“

Und so brachte Iwan Panfllowitsch auf zwei Fuhrwerken sechzehn Körbe voller Bienen zur Eisenbahnstation. Auf der Station gelang es ihm, für sich und seine Fracht einen leeren, offenen Güterwaggon mit Beschlag zu belegen. Auf diesen stellte er seine Bienenkörbe und überdeckte das Ganze mit einer Zeltplane. Kurz darauf setzte sich der Güterzug in Bewegung. Iwan Panfllowitsch stand majestätisch auf der Plattform und plauderte mit den Bienen. „Grämt euch nicht“, sagte er, „wir werden schon hinkommen! Bleibt noch eine kurze Weile im Dunkeln, dann werdet ihr wieder ins Freie zu den Blumen gelassen!“

Und so fuhr der Zug einen Tag, einen zweiten. Am dritten begann Iwan Panfllowitsch bereits, sich zu beunruhigen. Der Zug fuhr langsam; in jeder kleinsten Station gab es lange Aufenthalte, und es war gar nicht abzusehen, wann er am Bestimmungsort eintreffen würde.

Auf der Station Polja kletterte Iwan Panfllowitsch von seiner Plattform herunter und wandte sich an den Stationsvorsteher:

„Sagen Sie, Verehrtester, wie lange werden wir hier in Ihrer Station wohl halten?“ Dieser antwortete: „Ich kann es wirklich nicht sagen — vielleicht bis zum Abend.“ Darauf Iwan Panfllowitsch: „Wenn der Zug bis zum Abend stehenbleiben sollte, nehme ich die Zeltplane von den Körben herunter und lasse die Bienen auf Ihre Felder ausschwirren. Sie sitzen schon drei Tage im Dunkeln und sind hungrig.“

„Machen Sie, was Sie für richtig halten“, antwortete der Stationsvorsteher, „was gehen mich Ihre geflügelten Passagiere an! Ich habe genug andere Dinge im Kopf!“

Iwan Panfllowitsch kehrte zu seiner Plattform zurück und zog die Zeltplane von den Körben ...

Das Wetter war herrlich, der Julihimmel blau. Uberall auf den Feldern blühten die Blumen ... Einte ganze Bienenarmee erhob sich gen Himmel und nahm Richtung auf die Wiesen und Wälder. Die Reisenden umringten Iwan Panfllowitsch. Dieser hielt ihnen, auf der Plattform ste-

hend, einen Vortrag über den Wert der Bienen und den Nutzen, den sie bringen. In diesem Augenblick kam der Stationsvorsteher aus dem Stationsgebäude und gab das Signal zur Abfahrt. Ganz verstört stürzte Iwan Panfllowitsch auf ihn zu: „Verehrtester, lassen Sie doch um Gottes willen den Zug nicht abfahren! Alle meine Bienen sind auf den Feldern!“

Darauf antwortete der Stationsvorsteher: „Ich würde Ihnen raten,

den Bienen zu pfeifen, daß sie zurückkommen. Länger als drei Minuten kann ich den Zug hier nicht zurückhalten.“

„Ich flehe Sie an!“ schrie Iwan Panfllowitsch. „Lassen Siewden Zug bis Sonnenuntergang hier stehen!Bis dahin “kömhieh“ die“ Bieheh“ zurückT Im äußersten Fall hängen Sie meinen Waggon ab. Ohne Bienen kann ich nicht weiterfahren. Hier sind tausend Bienen zurückgeblieben, die übrigen

fünfzehntausend fliegen noch auf den Wiesen herum. Versetzen Sie sich doch in meine Lage...“ “ *

Darauf der Stationsvorstand: „Wir befinden uns hier auf einer Eisenbahnstation und nicht in einem Kurort für Bienen. Machen Sie sich nicht lächerlich!“

Mit diesen Worten gibt er dem Lokomotivführer das Zeichen zur Abfahrt, und der Zug setzt sich in Bewegung. Iwan Panfllowitsch, bleich

wie der Tod, steht auf seiner Plattform und ringt die Hände.

Der Stationsvorstand aber geht in sein Büro und macht sich an die Arbeit. Plötzlich hört er draußen einen Tumult. Er öffnet das'Fenster und sieht,'wie die wartenden Reisenden ih'größter Unruhe hin und her rennen,

„Was ist denn los?“ fragt er, und man antwortet ihm: „Hier haben Bienen drei Reisende gestochen und sind

im Begriff, sich auf die übrigen zu stürzen. Der ganze Himmel ist schwarz vor Bienen!“

Nun dämmert es dem Stationsvorsteher, daß die Bienen Jetzt vor Anbruch des Abends die Plattform mit ihren Körben suchen, diese aber nicht finden können und sich daher auf die Menschen stürzen.

Stöhnend schrie der Stationsvorsteher: „Setzt alles in Bewegung, damit der Güterwagen mit dem verrückten Bienenzüchter zurückgebracht wird!“ Er sprang vom Sofa und begann herumzutelephonieren. Von der nächsten Station bekam er den Bescheid, daß man den Wagen zwar sofort abkuppeln werde, jedoch keine Lokomotive zur Verfügung habe. Darauf der Stationsvorsteher: „Wir schicken euch sofort eine Lokomotive. Die Bienen haben bereits meine Frau gestochen... Meine Station ist verödet, weil alle Leute in ihrer Angst davongerannt sind — nur die Bienen schwirren wie verrückt herum!“

Nach kurzer Zeit wurde der Waggon wieder zurückgebracht. Der Stationsvorsteher atmete auf, als er Iwan Panfllowitsch auf der Plattform thronen sah.

Dieser befahl, den Waggon an jene Stelle zu bringen, wo er vor der Abfahrt des Zuges gestanden hatte. Und richtig — die Bienen flogen sofort dorthin.

Nach zehn Minuten waren alle Bienen in ihre Körbe zurückgekehrt, und Iwan Panfllowitsch begab sich zu dem Stationsvorsteher.

„Es tut mir leid, Verehrtester“, sagte er, „daß meine Bienen Sie gestochen haben. Daran sind Sie aber selbst schuld. Die Bienen sind Todfeinde jedes Bürokratismus und vertragen keine ihnen bezeigte Gleichgültigkeit. Sie aber sind mit ihnen umgesprungen, wie Sie es wahrscheinlich mit den Menschen tun — jetzt ernten Sie den Lohn dafür!“

Iwan Panfllowitsch blickte durchs Fenster und setzte hinzu: „Die Sonne ist untergegangen, und meine Reisegefährten haben ihre Plätze eingenommen. Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen.“

Am nächsten Tage, gegen Abend, traf Iwan Panfllowitsch mit seiner lebenden Fracht am Bestimmungsort ein. Die Bauern empfingen ihn mit Musik!

Aus dem Russischen übersetzt von Otomar Buchholz

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