6918101-1981_34_08.jpg
Digital In Arbeit

Brüderlichkeit - Programm und Vision

Werbung
Werbung
Werbung

Sind in die Brüderlichkeit auch die Feinde, die Gegner, die Bestien, die Sünder, die Abgefallenen, die Heiden, die Verbrecher miteinzubeziehen? Nach der Bibel, nach dem Neuen Te­stament gilt nicht jeder Mensch, son­dern nur der Gläubige, eben der Glaubensbruder, als Bruder. Brüder­lichkeit tendiert also auf die Umar­mung von Brüdern und nicht von Heiden.

Der Brudertitel wird von der Wie­dergeburt, also von der Taufe abgelei­tet. Zur genannten Einschränkung kommen im Neuen Testament noch disziplinäre Maßnahmen gegenüber den Sündern und Gesetzlosen, die wie „Heiden und Zöllner“ anzusehen sind. Es geht dabei um das Heil so­wohl des einzelnen Betroffenen wie das der ganzen Gemeinde.

Im Neuen Testament, vor allem bei Paulus, gibt es genug und überzeugen­de Anhaltspunkte, daß die Wahrheit und das Heil Vorrang haben gegen­über politischen Überlegungen, auto­ritären Traditionen, auch wenn das daraus resultierende Handeln zu­nächst als unbrüderlich erscheinen mag, im Endeffekt aber erst eine echte und glaubwürdige Brüderlichkeit aus­macht.

Im Neuen Testament kommt ein deutlicher Unterschied zwischen der Brüderlichkeit und der Liebe zum Vorschein. Während der Bruderbe­griff deutlich limitiert ist, soll die Lie­be allen Menschen, selbst den Fein­den gelten, wohl auch deshalb, weil disziplinäre Maßnahmen, die im Brü­derlichkeitsbegriff eingeschlossen sind,' sich nur auf Mitglieder, auf die eigene Kirche, erstrecken können. Das heißt, daß einem die mühevolle Arbeit nicht erspart bleibt, Inhalte zu suchen. Grenzen abzustecken, Maß­nahmen zu ergreifen, einen Stand­punkt zu beziehen, Liebe, Brüderlich­keit durchaus auch als Anstrengung, Mühe, Leistung zu sehen, was von manchen zu Unrecht geleugnet wird.

Ohne Weg, ohne Richtung, ohne Ziel, ohne W'ahrheit gibt es keine Brü­derlichkeit. Mehrheit und Wahrheit decken sich nicht einfach, noch weni­ger sind sie ident. Ein Grund mehr, warum Brüderlichkeit notwendig auf Inhaltlichkeit verwiesen bleiben muß. Irrwege, Gefahren, Einseitigkeiten, Grenzen, Kritik der Brüderlichkeit müssen um der Wahrheit und der richtigen Vorgangsweise willen sehr ernst genommen werden.

Die Ausflucht oder Flucht vor einer Stellungnahme, vor einem Stand­punkt, einer Entscheidung, einer Ver­antwortung bedeutet daher nur eine Quasi-Brüderlichkeit, in Wirklichkeit einen Verrat an der Brüderlichkeit.

Für mein Verständnis gibt es keine Brüderlichkeit ohne Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit gehört zur Grund­lage, zur Struktur, zum Wesen der Brüderlichkeit. In der Französischen Revolution hat man übrigens ernst­haft überlegt, anstelle des Begriffs der Brüderlichkeit denjenigen der Ge­rechtigkeit zu verwenden. Gerechtig­keit und Wahrheit sind zwei ganz we­sentliche Kriterien der Brüderlichkeit.

Ein „Fest der Brüderlichkeit“ darf weiters kein Fest der Unverbindlich­keit, der Oberflächlichkeit, der bloßen Öffentlichkeit sein.

Was hilft der Zweckoptjmismus und das große Gerede von den großen positiven Veränderungen, wenn in entscheidenden Punkten alles beim al­ten bleibt, wenn die Feindschaften zwischen den einzelnen politischen und religiösen Gruppen liebevoll ge­pflegt werden, wenn man den „Bru­der“ sterben zu lassen bereit ist, nicht nur auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho. —

Die Hans-Dampf-Brüderlichkeit, die Shakehands-Brüderlichkeit, die Make-up-Brüderlichkeit, die soforti­ge und unbekümmerte Du-Wort-Brü- derlichkeit unterspielt bewußt und un­bewußt, bietet oft ein Alibi im Sinne einer Kompensation an: um sehr brei­te und sehr rasche Anerkennung zu finden, um keinen Widerspruch und keine Aggression zu wecken, um so selber keine Schwierigkeiten zu ha­ben, um eigene Schwächen, eigenes Unvermögen zu verdecken.

Brüderlichkeit - ein Wort, das für den einen vielversprechend, für den nächsten langweilig, für viele sogar ’abschreckend klingt. Es hat eine lange Geschichte, und ist doch nie wirklich Geschichte geworden, sondern Pro­gramm, Fragment oder Vision geblie­ben, am häufigsten aber nichts ande­res als Täuschung, Vorwand und Ali­bi gewesen.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Philo­sophie und Fundamentaltheologie an der Universität Graz - und hat zum Thema des Steirischen Katholikentages 1981 „Ein Fest der Brüderlichkeit" ein Referat gehalten, das wir auszugsweise wiedergeben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung