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Bulgarische Tricks

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Ludmilla P. ist eine gut verdienende Zahnärztin in Sofia. Ihr Mann, ein vielgefragter Schauspieler, gastiert derzeit in der Messestadt Plovdiv. Das Paar hat einen Sohn im Alter von zwölf Jahren. Und — zwei Eigentumswohnungen in der Hauptstadt, und ein Landhaus draußen im Vitoscha-Gebirge und einen bescheidenen Bungalow an der Schwarzmeerküste, der im Sommer an westdeutsche Touristen vermietet wird. In der kleineren der beiden Eigentumswohnungen residiert derzeit ein Filmregisseur und bezahlt dafür 250 Leva im Monat. Insgesamt nehmen die P.'s im Jahr aus ihrem Haus und Wohnungsbesitz rund 6000 Leva ein, das entspricht dem Gehalt eines bulgarischen Generaldirektors. Verständlich, daß die Familie an die Anschaffung eines Zweitwagens denken kann und an einen Urlaub in Ägypten. Woher dieser Reichtum im sozialistischen Balkanstaat?

Die Antwort ist ebenso einfach wie absurd: Die P.'s sind geschieden, allerdings nur auf dem Papier. Wie hunderte andere wohlhabende Familien des Landes auch — worüber vor kurzem Leserbriefschreiber in der Zeitschrift „Literaturen Front“ klagten. Das Gesete über die Eigentumsrechte der Bürger, nunmehr seit zwei Jahren in Kraft, hat zu einer Welle von fiktiven Scheidungen im ganzen Land geführt. Denn laut Gesetz kann jeder Bürger Bulgariens,

Minderjährige eingeschlossen, jeweils eine Wohnunig oder ein Haus als ständigen Wohnsitz und ein Landhaus als Zweitresidenz besitzen.

Das gleiche Recht haben auch Familien, also Mann und Frau samt ihren minderjährigen, unverheirateten Kindern. Zwei Erwachsene dürfen demnach zwei Wohnungen ihr eigen nennen. Gehen sie allerdings eine Ehegemeinsohaft ein, verlieren sie das Anrecht auf die zweite Wohnung. Das „überflüssige“ Aparte-ment muß entweder auf ein eheliches Kind überschrieben oder dem Staat zum Verkauf angeboten werden.

„Literaturen Front“ schreibt zu Recht, dieses Gesetz verstoße gegen das Gleichheitsprinzip und sei ehefeindlich. Einerseits klage der Staat über Geburtenrückgang, anderseits fordere er die Bürger gleichsam zum Ledigtoieiben auf, schrieb die Provinzzeitung „Oteschestven Front“ in einem satirischen Beitrag.

Offenbar wurde dieses Gesetz — einer der Initiatoren war Parteichef Schiwkoff selbst — ohne die notwendigen Vorbereitungen und Studien erlassen. In ihrem Übereifer, jedes „Einkommen ohne Arbeit“ zu unterbinden, haben die Bürokraten selbst in das Eigentumsgesetz eine Lücke eingebaut, die schwerwiegende soziale Folgen — uneheliche Kinder nämlich — mit sich bringen kann.

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