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Ceaucescus Widerstand

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Es bleibt bei der Schleifung von mehr als der Hälfte aller rumänischen Dörfer, ließ Nicolae Ceaucescu die Welt wissen. Daß es vielen Betroffenen .schwerfällt, die alten Lebensgewohnheiten aufzugeben“, räumt selbst die Parteizeitung ein, aber den „Conduca-tor“ berührt das wenig. Er läßt sich nicht beirren. Warum?

Will Ceaucescu tatsächlich „nur“ den ungarischen und deutschsprachigen Minderheiten die Identität nehmen? In Bukarest weist man dies als chauvinistische Unterstellung“ zurück: es gehe ausschließlich um die Ge-

winnung von landwirtschaftlicher Nutzfläche. Außerdem sei die Umsiedlung in agro-industrielle Zentren ein gesellschaftspolitischer Fortschritt.

Die westliche Welt ist entsetzt. Ist man doch bei der Wiener KSZE gerade jetzt damit beschäftigt, Formeln über die Achtung der Minderheitenrechte auszufeilen. Außerdem, versichern Wirtschaftsleute, reicht die landwirtschaftliche Nutzfläche Rumäniens aus, rund 100 Millionen (!) Menschen zu ernähren, also ein Vielfaches der heute 23 Millionen.

Wie immer man diese Wahnsinnstat einschätzt, eines sollte nicht vergessen werden: So sehr Ceaucescu in den letzten Jahrzehnten • Bevormundungsversuche Moskaus zurückgewiesen hat, so. wenig hat er die kommunistische Grundorientierung seiner Politik verändert. Die außenpolitischen .ßxtrawürste“ wären kaum möglich gewesen, hätte Rumänien nicht auch innenpolitisch - .Personenkult“ hin oder her — durchgehalten. Gerade deshalb mußte in Bukarest die .Perestrojka“ ein Schlag ins Gesicht sein.

Wie muß es auf einen „Orthodoxen“ wirken, wenn in der Sowjetunion und im RGW die Überlegenheit marktwirtschaftlicher Mechanismen entdeckt wird? Wenn vom Pluralismus der Interessen“ die Rede ist?

„Traditionalisten“ wie Ceaucescu müssen Perestrojka“ wahrscheinlich so wahrnehmen, wie Erzbischof Marcel Lefebvre das Zweite Vatikanum. Wer die Seuche des Modernismus grassieren sieht, fühlt sich berufen, die alte, wahre Lehre vor opportunistischen Anpassungen zu bewahren.

Für Ceaucescu wie für Lefebvre heißt dies: Wider alle „modernistischen“ Aufweichungen gilt es, die bisherigen „Glaubensinhalte“ demonstrativ hochzuhalten.

Zum Glaubensgut des rumänischen Conducators gehört dabei die These, daß der Kommunismus „die Vereinigung des Betriebs von Ak-kerbau und Industrie“, die Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land“ gebietet — so nämlich steht es im Kommunistischen Manifest, im „heiligen“ Text eines jeden Marxisten. Genau das sollen „agro-industrielle Zentren“ auch realisieren.

Nur wer sich als Vollstrek-ker eben dieses Heiligsten sieht, vermag sich über alle Proteste hinwegzusetzen. Auch die, die im Namen von Menschenrechten erhoben werden.

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