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Chancengleichheit um jeden Preis

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Im Kampf um die Chancengleichheit in der Schule wird nach dem Schulweg und dem Schulbuch eine weitere Bastion gestürmt: die Schultasche.

Sie war bisher jener Stein des Anstoßes, der zur Unterscheidung der Schüler beitrug. Die einen hatten noch Schultaschen sozusagen aus der dritten Generation - der Großvater hätte damit auch schon zur Schule gehen können, die anderen, gesegnet von den Früchten des Wohlstands, trugen Leicht-Leucht-Taschen mit integriertem Schulterhalt. Dieser eklatanten Chancenungleichheit muß also schleunigst ein Ende gesetzt werden, schließlich beeinflußt die Schultasche nicht unwesentlich die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Kindes, wie einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen haben.

Der Einheitsschultasche, finanziert aus dem Chancengleichheitsfonds, steht also nichts mehr im Weg. Sie soll aus Sicherheitsgründen leuchtend rot und feuerfest, aus Gesundheitsgründen leicht und anschmiegsam und aus hygienischen Gründen wasserfest und abwaschbar sein.

Mit der Einführung der Einheitsschultasche will man dem verwerflichen Prestigedenken, das ja, wie jeder weiß, bei der Schultasche beginnt und beim Mercedes endet, einen Riegel vorschieben. Die Schultasche darf nicht mehr länger Statussymbol sein, schließlich muß man das Übel an der Wurzel packen.

Doch ist die Schultasche nicht die letzte Bastion im Kampf um die Chancengleichheit auf dem heißumkämpften Boden der Schule. Auch die sogenannte Schuljause ist der Kommission für Gleichheit der schulischen Chancen ein Dom im Auge.

Wie ja jeder halbwegs Gebildete weiß, hängen Ernährung und Leistung eng zusammen. Ist es da vom Standpunkt der schulischen Chancengleichheit noch länger vertretbar, so ganz ungleiche Jausenformen zuzulassen, die von der ordinären Wurstsemmel über einen gepflegten Gabelbissen bis hin zum Kaviarbrötchen reichen? Der eine Schüler nimmt eine Jause zu sich, die seine Leistungskraft nur schwächt, der andere baut gezielt seine Gehim-substanz mit einem Eiweiß-Vitaminmüsli auf - wo bleibt da die Chancengleichheit?

Ab nun soll auf Empfehlung oben erwähnter Kommission in jeder Schule eine altersadäquate einheitliche Jause verabreicht werden, die die Grundlage jeglicher Chancengleichheit bilden soll - schließlich sollen nicht mehr länger die Finanzkraft und die Intelligenz der Eltern über das schulische Leistungsniveau ihrer Kinder entscheiden.

Die Krönung der Bemühungen im Kampf um die schulische Chancengleichheit bildet wohl die Erstürmung der gravierendsten Bastion: der unterschiedlichen Körpergröße. Sie ist doch letztlich der Kernpunkt jeglicher Ungleichheit, die schon in der Schule beginnt.

Kleine werden übersehen, gering geschätzt und sind außerdem beim Laufen benachteiligt, große hingegen springen ins Auge, werden leicht überschätzt und sind insgesamt bevorzugt.

Dem muß ein Ende bereitet werden. Eine eigene Kommission zur Eliminierung körperspezifischerGrößen-unterschiede hat einen Forschungsauftrag vergeben, der die so ungerechte größenmäßige Ungleichheit beenden soll. Mitglieder der Kommission sind Biologen, Chirurgen, Schuhdesigner, Haartoupeure und sogenannte Longcorpusdriver - Personen also, die die menschliche Körperlänge mit speziellen Methoden beeinflussen können. Man hofft mit diesem wohl letzten Schritt, die schulische Chancengleichheit optimal verwirklichen zu können.

Ungleichheiten, die dann noch auftreten, können nur unabsichtlich oder böswillig sein, andere Möglichkeiten kann es nicht mehr geben.

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