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Das wirklich Böse

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Im letzten Jahrzehnt, das durch eine zunehmende Gewalttätigkeit gekennzeichnet ist, beschäftigt man sich eingehend mit dem Phänomen dfer Aggression. 1920 schon hatte Freud dem „Lebenstrieb“ den „Todestrieb“, den Zerstörungsdrang als bestimmende Kräfte im menschlichen Leben gegenübergestellt. Mit dem Buch von K. Lorenz: Das sogenannte Böse, Naturgeschichte der Aggression (1963) ist von der zoologischen Verhaltensforschung her die Annahme, daß das aggressive Verhalten des Menschen einem phylogenetisch programmierten angeborenen Instinkt entspringe, allgemein bekanntgeworden. Manche Forscher wollten aber weder jegliche Aktivität und Spontanäität des Menschen der Aggression subsumieren noch mit der Hypothese der Aggression menschliche Schuld gänzlich umdeuten und damit auslöschen; es gebe wohl auch ein wirklich Böses (H. Asperger).

Im vorliegenden Buch unterscheidet der Autor beim Menschen „zwei völlig verschiedene Arten der Aggression. Die erste Art, die er mit alten Tieren gemein hat, ist ein phylogenetisch programmierter Impuls, anzugreifen (oder zu fliehen), so- sobald lebenswichtige Interessen bedroht sind. Die defensive, .gutartige’ Aggression dient dem Überleben des Individuums und der Art; sie ist biologisch angepaßt und erlischt, sobald die Bedrohung nicht mehr vorhanden ist. Die andere Art, die .bösartige’ Aggression, das heißt die Destruktivität und Grausamkeit, ist spezifisch für den Menschen und fehlt praktisch bei den meisten Säugetieren; sie ist nicht phylogenetisch programmiert und nicht biologisch angepaßt; sie dient keinem anderen Zweck und ihre Befriedigung ist lustvoll. Der größte Teil der früheren Diskussion über dieses Thema war dadurch beeinträchtigt, daß versäumt wurde, zwischen diesen beiden Arten von Aggression zu unterscheiden, die verschiedener Herkunft sind und die verschiedene Merkmale haben“.

Mit dieser Distinktion zwischen gutartiger und bösartiger Aggression unterscheidet Fromm auch zwischen Instinkt und Charakter, zwischen den in physiologischen Bedürfnissen verwurzelten biologischen Trieben und jenen spezifisch menschlichen Leidenschaften, die in seinem Charakter verwurzelt sind; existentielle Bedürfnisse, die spezifisch menschlich sind. Fromm unterscheidet einen erbbedingt programmierten Impuls und eine spezifisch dem Menschen eigene, biologisch gar nicht angepaßte, lustvolle Destruktivität.

Das umfangreiche Buch enthält eine Studie über das Verhältnis von Istinktivismus, Behaviorismus und Psychoanalyse; der Autor erläutert Befunde, die gegen die Thesen der Instinkt- und Triebforscher sprechen und beschreibt eingehend die gutartigen und bösartigen Formen der Aggression; unter letzterer sehr ausführlich die im Leben Hitlers zutage tretende Nekrophilie und setzt sich in einem Anhang mit Freud’s Aggressions- und Destruktionstheorie auseinander, manchem Freudi- anern schulische Starre vorwerfend, in welcher Freud nachträglich gefangen wurde.

Die tatsachengerechte Aufspaltung der Phänomene der Aggression beim Menschen erscheint als der gewichtige Ertrag dieses Buches, nicht zuletzt auch für die Kritik an L. Szondi’s Hypothese über Kain und Moses. Die Diskussion über die menschliche Destruktivität hat aber auch durch den Lorenz-Schüler I. Eibl-Eibesfeldt einen tröstlichen Beitrag erhalten; in dessen Buch „Liebe und Haß“ wird vom einprogrammierten Guten gesprochen; damit ist aber unübersehbar die Nähe zu Teilhard de Chardin erreicht, zu dem sich auch wiederum K. Lorenz hingezogen fühlt.

ANATOMIE DER MENSCHLICHEN DESTRUKTIVITÄT. Von Erich Fromm. Deutsche Verlangsanstalt. 544 Seiten. DM 38,—.

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