War es Selbstmord oder Mord? Diese Frage geistert noch immer in den Köpfen all jener herum, die die Februar- und Märzereignisse 1948 in Prag selbst miterlebt hatten oder sich mit der Machtergreifung der KPC historisch beschäftigten. Jedenfalls ist der Fenstersturz des Außenministers der Tschechoslowakischen Republik, Jan Masaryk, am 10. März 1948 bis heute nicht geklärt.
In Prag hatte der Fenstersturz als politische Waffe gewissermaßen Tradition. Denn jeder Prager Fenstersturz löste jeweils in ganz Europa grausame Kriege aus. Auch Masaryks Sturz: Mit seinem Tod begann in Europa endgültig der Kalte Krieg!
Dennoch: Hatte Jan Masaryk etwa damit spekuliert, daß sein Freitod den Kalten Krieg auslösen würde? Wohl kaum! Obwohl Stalin dem tschechoslowakischen Außenminister bei seinen Auslandsmissionen ständig Prügel zwischen die Beine warf, versuchte Masaryk stets seine Politik an der Idee Be-ne von der „CSR als Brücke zwischen Ost und West“ auszurichten. Außerdem war er der einzige Nichtkommunist in der neuen KP-Regierung und hatte in dieser Position vor allem ein großes Ziel im Auge: Von der Demokratie soviel wie möglich zu retten! Warum sollte dieser pragmatisch denkende Mensch - der sein Volk und die Freiheit genauso hebte wie sein Vater, der Gründer der CSR, Präsident Tomas Masaryk - diese Ziele in einer Nacht aus den Augen verlieren und sich aus dem Fenster stürzen?
Also wurde Jan Masaryk ermordet?
Vieles spricht dafür, daß er ein Opfer von Agenten des sowjetischen Geheimdienstes war: vor allem Berichte von Augenzeugen, die Masaryks Wohnung nach dem Fenstersturz sahen, Aussagen von Uberläufern, Ermittlungen westlicher Geheimdienste und geheime Protokolle des Prager Innenministeriums.
Aus Augenzeugenberichten kann geschlossen werden, daß es in der Wohnung Masaryks zu einem Kampf gekommen war. Außerdem wurden sowohl auf der Fensterbank als auch im Schlafanzug Ausscheidungen festgestellt - ein Zeichen für Todesangst. Selbstmörder verspüren jedoch kaum Todesangst, wenn sie aus freiem Willen handeln...
Eine Reihe von mysteriösen Verhaftungen, Morden und Unfällen, die sich nach dem Fenstersturz ereigneten und die alle in irgendeiner Verbindung zum Tod Masaryks standen, ließen westliche Wissenschaftler, Journalisten und Geheimdienstler ebenfalls an der Version des Freitodes Jan Masaryks zweifeln.
Zweifel am Selbstmord ihres Außenministers hatten die offiziellen Prager Stellen freilich nie. Ihre Diagnose: Westliche Pressehetze, Krankheit und Schlaflosigkeit haben Minister Masaryk in den Freitod getrieben... B. B.
