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Erinnerung an Drasenhofen
Man erinnert sich noch — oder eben: man erinnert sich nicht mehr: Am 2. Mai dieses Jahres ist bei Drasenhofen ein Mann namens Masaryk — ein Name, übrigens, der eigentlich Assoziationen wecken müßte an jenen Minister Masaryk, der nach dem kommunistischen Putsch von 1948 in einem neuen Prager Fenstersturz seinem Leben ein Ende gesetzt hat —; vor mehr als einem Vierteljahr also ist ein Mann namens Masaryk von tschechoslowakischen Grenzern niedergeschossen und vom österreichischen Hoheitsgebiet auf das Territorium der CSSR verschleppt worden. Außenminister Kirchschläger reagierte so menschlich wie klug, als er daraufhin seine Ansicht äußerte, daß es sich doch wohl nur um eine Fehlleistung untergeordneter Organe gehandelt haben könne; und an der selben Goldenen Brücke für Prag baute auch das Blatt der Regierungspartei in einem ersten Kommentar. Wiewohl also Österreich den Vorfall nicht hoch-, sondern herunterspielte, schlugen die höchsten CSSR-Behörden einen Lärm, als wenn die Österreicher einen Menschenraub verübt hätten.
Es sind damals an dieser Stelle schon „beschämende Folgen für Österreich“ befürchtet worden; und leider: sie sind nicht ausgeblieben. Masaryk befindet sich, wiewohl bereits genesen, noch immer im Gewahrsam der tschechoslowakischen Kidnapper, die Proteste Österreichs haben keinen wie immer gearteten Erfolg gezeitigt — gewissermaßen als Kompensation wurden Bundeskanzler Kreisky, Kardinal König und pauschal die österreichische Presse grundlos verdächtigt und beschimpft —, und man braucht wahrlich nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wie Prag diesen ganzen Skandal politisch-propagandistisch manipulieren wird — zum Beispiel so, daß Herr Masaryk seine Rückstellung nach Österreich oder Südafrika mit irgend einem „Schuldbekenntnis“ erkaufen muß. Die Prager Justiz hat ja einige Übung darin, Anklagen in Geständnisse umzufunktionieren ...
Der Fall Masaryk ist jedenfalls ein erstes Symptom dafür, daß Österreich seit seiner Entmilitari-sierung von den Nachbarstaaten, insbesondere von den östlichen, nicht mehr ganz ernst genommen wird. Und da infolge dieser Ent-militarisierung erstens der völkerrechtliche Status der Neutralität de jure nicht mehr besteht — zum Jahrestag der Staatsvertragsunterzeichnung pries die Sowjetregierung offiziell schon unseren „neutralistischen Kurs“ — und zweitens der als „Moskauer Memorandum“ geschlossene Vorvertrag zum Staatsvertrag eindeutig gebrochen und damit die Gültigkeit des Staatsvertrages selber in Frage gestellt wurde, sieht sich Österreich künftig jeder beliebigen Eskalation der Willkür von seifen jener Staaten hilflos ausgeliefert — schlimmstenfalls bis zur neuerlichen Okkupation und Teilung des Staatsgebiets.
Vielleicht ist der sonst so wortreiche Bundeskanzler so gnädig, sich zu dieser Lebens-, ja Uberlebensfrage der Nation einmal zu äußern.
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