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Lenin und Masaryk

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THOMAS G. MASARYK. Von Milan Machovec. Verlag Styria, Graz 1969. 340 Seiten, Leinen, S 180.—.

Im Verlag Styria, Graz, Wien, Köln, kam die deutsche Übersetzung des Buches von Milan Machovec über Thomas Garrigue Masaryk heraus. (339 Seiten). Ein großes anerkennenswertes Wagnis. Denn die Lektüre dieses Buches, das ausgezeichnet von Wilhelm Zrounek übersetzt wurde, stellt an den Leser hohe Anforderungen. Es verlangt von ihm, daß er Masaryk bereits sehr gut kennft, vor allen Dingen seine Werke gelesen hat und auch sich sonst mit der Geschichte des böhmischen Raumes befaßte. Denn das Buch ist keine Biographie Masaryks. Es 1st vielmehr der Versuch, Masaryk in die Welt des Prager Frühlings zu integrieren und überhaupt mit der Welt des Kommunismus auszusöhnen. Masaryk — von 1918 bis 1935 Präsident der tschechoslowakischen Republik, die er gegründet hatte — war für viele Tschechen seit 1938 und erst recht seit 1948 das große Symbol der Freiheit und dais große Symbol der Zugehörigkeit Böhmens zur westlichen Welt. Er war deshalb für die Kommunisten untragbar und seit 1948 wurde er praktisch zur Unperson. Sein Name verschwand von den Straßen, seine Denkmäler ebenso,

seine Tat der Gründung der Republik wurde bagatellisiert und praktisch die Errichtung des tschechischen Staates der Arbeiterklasse fast zur Gänze zugute geschrieben. Machovec versucht nun auf der einen Seifte all den westlich denkenden Menschen seiner Heimat darzulegen, daß Masaryk nur aus dem Bedingungen seiner Zeit ein rein westlicher Mensch gewesen ist und vielleicht heute in manchen Dingen anders denken würde. Und der Verfasser versucht den Kommunisten seiner Heimat plausibel zu machen, daß Masaryk gar kein so großer Anti- kommunist sei, wie sie glauben. Er weist — mit Recht — nach, daß Masaryk eigentlich ein großer Einzelgänger war, an dem jeder Versuch, ihn für eine Partei oder Ideologie zu reklamieren, scheitern mußte. Und er weist — wieder mit Recht

— nach, daß Masaryks größte Leistung eigentlich, seine Fähigkeit war, der große Kritiker seiner Heimat zu sein und mit einer unerbittlichen Sonde den Phänomenen des geistigen, politischen und kulturellen Lebens nachzuspüren.

Das Ziel des Autors ist klar: Er will am Beispiel Masaryks zeigen, daß jede Zeit ihren Masaryk benötigt, d h. den unerbittlichen Kritiker und distanzierten Beobachter, dessen Kritik die Humanisierung der menschlichen Gesellschaft zum Ziel halt. Von diesem Standpunkt aus hofft er — auch wenn er es nicht schreibt —, daß die menschlichen Verhältnisse, die mit dem Prager Frühling in den böhmischen Ländern einsetzten, erhalten bleiben würden. Wie arg mußte der Autor enttäuscht gewesen sein ...

Das Buch ist somit keine Biographie und setzt vom Leser eine genaue Kenntnis Masaryks bereits voraus. Viele deutschsprachige Leser werden diese nicht besitzen und deshalb ist die Herausgabe dieses Werkes ein großes Wagnis. Vielleicht wäre es gut gewesen, der deutschen Übersetzung einen kurzen Lebenslauf Masaryks voranzugeben und ein genaues Verzeichnis seiner Werke. Gut wäre es auch gewesen, zu erklären, wer manche Persönlichkeit ist, die der Autor nennt. (Wer weiß schon, wer Nejedly war und wer Fučik — der erstere war ein Prager Universitätsprofessor, der kommunistischer Unterrichtsminister wurde, der letztere ein führender Kommunist, den die Deutschen hinrichteten).

Im Leben Masaryks gab es drei große Tragödien: die erste war sein Austritt aus der katholischen Kirche, der auf Grund vieler Affekte der Kindheit und Jugend erfolgte. Masaryk blieb sein Leben lang ein tief- gläubiger Mensch und am Ende seines Lebens näherte er sich gedanklich wieder weitgehend der Kirche seiner Kindheit. Nur peripher erwähnt Machovec diese Tragödie, wobei er richtig bemerkt, daß Masaryk nie vom katholischen Glauben loskam, ähnlich wie Rilke. Peripher erwähnt Machovec auch nur die zweite Tragödie: Masaryks Kampf gegen Österreich—Ungarn von 1914—1918, der schließlich zur Zerschlagung der Monarchie führte. Masaryk war bis 1914 ein entschiedener Anhänger des Donaureiches. Plötzlich wurde er dessen Gegner, weil er glaubte, daß die Monarchie nicht föderalistisch und demokratisch werden könnte. Zu seinem Schmerz mußte er erleben, daß die von ihm gegründete Republik viel weniger föderalistisch und viel weniger demokratisch war, als die zisleithamsche Hälfte des Donaureiches. Und die dritte Tragödie erwähnt der Autor überhaupt nicht: daß Masaryk — wie er selbst in seiner Jugend bekannte — eine deutsche Mutter hatte, die er im späten Alter als Hanmakin ausgab. Masaryk allein mit seiner Autorität hätte es zuwege gebracht, das nationale Problem Böhmens dadurch zu lösen, indem er erklärt hätte, daß auch er teilweise von Deutschen afostamme und stolz auf diese doppelte Abstammung sei. Masaryk, der in seinem Leben so oft Mut bewiesen hatte, beugte sich in diesem Fall dem Götzen Nationalismus. Das Buch erwähnt diese mutigen Epochen, wie zum Beispiel den Handschriftenstreit, die Hilsneriade der Kampf für War- mund, der Kampf für die Südslawen in der Monarchie. Aber viele Leser werden von all diesen Epochen nichts wissen, und auch hier wären kurze Erklärungen sehr am Platz gewesen. Die große Biographie über Masaryk fehlt somit noch immer. Aber jedes Werk, das über ihn erscheint, ist gut, weil er dadurch der Vergessenheit entrissen wird. Denn er war einer der ganz großen Persönlichkeiten, die Mitteleuropa hervorbrachte. Gott berief ihn in seiner Barmherzigkeit ein Jahr vor dem Untergang der Republik von dieser Welt ab. Die letzte Tragödie blieb ihm erspart.

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