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Blumen für Masaryk

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Marcia Davenport, die Autorin dieser interessanten Autobiographie, die zugleich ein kulturgeschichtliches und zeithistorisches Dokument von Rang ist, lebt als erfolgreiche Romanautorin und Musikexpertin in Amerika. Sie schrieb die erste amerikanische Mozart-Biographie und war viele Jahre Mitarbeiterin der exklusiven Zeitschrift „The New Yorker“ sowie anderer führender Blätter. Aber im Mittelpunkt ihres Lebensberichtes stehen Menschen, bedeutende Künstler und Politiker, die ihrer Persönlichkeit die Richtung gegeben und sie geformt haben.

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Marcia Davenport, die Autorin dieser interessanten Autobiographie, die zugleich ein kulturgeschichtliches und zeithistorisches Dokument von Rang ist, lebt als erfolgreiche Romanautorin und Musikexpertin in Amerika. Sie schrieb die erste amerikanische Mozart-Biographie und war viele Jahre Mitarbeiterin der exklusiven Zeitschrift „The New Yorker“ sowie anderer führender Blätter. Aber im Mittelpunkt ihres Lebensberichtes stehen Menschen, bedeutende Künstler und Politiker, die ihrer Persönlichkeit die Richtung gegeben und sie geformt haben.

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Da ist zunächst ihre Mutter, die seinerzeit berühmte Sängerin Alma Gluck, die sie In die Welt der Musik einführte. Deren Eltern kamen mit jenem Strom aus Osteuropa nach Amerika, der innerhalb einer Generation mehr als eine halbe Million Menschen auf der Flucht vor Pogromen und Austreibungen über den Ozean geführt hat. Der Vater, von dem in dem Buoh selten die Rede ist, stammte aus Weißrußland, die Mutter aus Rumänien. Mit ihr war Marcia bereits als Fünfjährige in der Schweiz, in Deutschiland und in Paris unterwegs, meist in einem Eisenfoahmwohn-wagen, weil die Mutter ihr Kind immer in der Nähe haben wollte. Die ersten starken Jugendeindrücke in New York waren die Konzerte Toscaninis, der zum engen Freundeskreis der Sängerin Alma Gluck gehörte. Marcia besuchte erst ein College in Philadelphia, danach darf sie mit einer Studentengruppe nach Grenoble und kommt dann ins Wel-lesley College. Von dort rückt sie aus und heiratet 1929, neunzehnjährig, den Schriftsteller und Journalisten Rüssel Davenport, von dem sie sich 1944 wieder trennt: Ihr Bedürfnis nach Einsamkeit ist zuzeiten größer als das nach Geselligkeit und nach Menschen, deren sie viele und bedeutende kennenlernte und die eine Rolle in ihrem Leben gespielt haben. 1929 faßt sie den Entschluß, die erste amerikanische Mozart-Biographie zu schreiben und kommt auf der Suche nach Quellen zum erstenmal nach Prag. Es ist eine Liebe auf den ersten Blick. Dieser Stadt, ihren Menschen, der tschechischen und mährischen Landschaft und besonders einem Mann ist sie während ihres ganzen Lebens treu geblieben.

In das Jahr 1941 fällt die entscheidendste Begegnung ihres Lebens, auch als Frau: Sie lernt in ihrer New-Yorker Wohnung bei einer Party Jan Masaryk kennen, der damals 55 Jahre alt war. Von dem großen, massigen Menschen mit den zarten Händen in seiner Stimmung schon damals zwischen Tragik und Clownerie schwankend, hat sie uns eine ebenso genaue wie diskrete Schilderung hinterlassen. Der Sohn des Gründers der tschechoslowakischen Republik und einer Amerikanerin beherrscht das Englische einschließlich des Slangs auf unwahrscheinliche Weise. Im Grunde einsam, scheint er unbegrenzt kontakt-fähig und ist bei Männern und vielen schönen Frauen gleichermaßen beliebt. Unmittelbar nach Kriegsende bittet Jan Masaryk sie, zu ihm nach Prag zu kommen, wo er sich In der ersten Etage des Czernin-Palais als Außenminister eine Art Junggesellenwohnung eingerichtet hat. Um ihre Reise zu ermöglichen, hat man Marcia in eine amerikanische Offiziersunifonm gesteckt und über Caserta nach Mailand geflogen, wo sie erschüttert vor den Ruinen der Scala, dem Hause Toscaninis, steht. In einem Militärjeep reist sie über Pilsen nach Prag und verbleibt die nächsten kritischen Jahre an der Seite Jan Massaryks, bis zu dessen und der tschechischen Demokratie bitterem Ende. Mit ihm fährt sie auch nach Schloß Lany, der Sommerresidenz Beneschs, der bereits ein kranker Mann ist. Auf T. G. Masa-ryks Grab auf dem nahegelegenen Dorffriedhof von Lany finden sich, auch in den kritischesten Zeiten, immer frische Blumen. Jan Masaryk reist, innerlich verstört, zwischen New York London und Moskau hin und her. Jeder Abschied kann der letzte sein. Auch die neuen Männer hat Marcia Davenport aus der Nähe kennengelernt: Clement Gottwald und Zdenek Fierlinger. Sie mochte beide nicht und hat aus ihrer Antipathie, besonders gegenüber dem

letzteren, kein Hehl daraus gemacht. Ob Jan Masaryk Selbstmord verübt hat oder in den Tod getrieben wurde, darüber vermag auch seine nächste Vertraute keine endgültige Auskunft zu geben. Marcia Davereport bezeichnet die Todesart als „untypisch“ für Jan, dessen Initialen J. M. sich auf der ersten Seite dieses Buches Anden.

Hervorzuheben an diesem Memoirenwerk ist neben der schriftstellerischen Brillanz und der menschlichen Reife die Diskretion, an der es so viele ähnliche Erinnerungsbücher leider fehlen lassen.

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