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Der Weg Dan Anderssons

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Am 16. September 1920 brachten die Stockholmer Blätter eine Nachricht, die Aufsehen und Bestürzung erregte: der Dichter Dan Andersson, der in einem Hotel der Stadt übernachtet hatte, war am Morgen tot aufgefunden worden. Wer seine Dichtung kannte, mochte glauben, daß er freien Willens aus dem Leben gegangen war: die Tat wäre mit den schweren, verzweiflungsvollen Versen der jüngsten Zeit vereinbar gewesen. Aber die näheren Erklärungen ließen diesen Tod in einer ganz anderen Tragik erscheinen, vor der man ratlos stand. Das Hotelzimmer, das Dan Andersson spät nachts bewohnt hatte, war vorher vergast worden, und das in der Tapete zurückgebliebene Gift war es gewesen, das den Dichter in der Fülle der Schaffenskraft — er \|ar erst 32 Jahre alt — getötet hatte. In einem anderen Raum war ein anderer Hotelgast tot aufgefunden worden.

Trotz der vielen „Gedenkrunen", die damals über Dan Andersson erschienen — er galt als bedeutender Lyriker und hatte vor kurzer Zeit den großen Bon- nierpreis erhalten — konnte man nicht ahnen, daß er innerhalb von wenigen Jahren einer der meistbekannten und — gesungenen Dichter Schwedens, ein moderner Volksdichter, werden würde. Viele seiner Verse sind Volkslieder geworden. Das Lied von „Jungmann Jans- son", dem Seemann, der in allen Häfen der Welt zu Hause ist, singen Schulkinder mit ihren klaren Stimmen ebenso gern wie Arbeiter oder Studenten. Der Lebensübermut, der darin lebt, reißt mit sich fort. Wenn man einem Ausländer etwas Modern-Schwedisches vorführen will, so legt man eine Platte Dan Anderssons auf die grüne Scheibe des Grammophons, und es ertönt eines von den sangbaren Liedern, ein schwermütiges oder ein übermütiges, immer aber eines voll dunkler Natur, wo es unendliche Wälder odet das Meer oder armes Volk und einsame Wanderer gibt.

Aber Dan Andersson ist mehr als ein Volkspoet. Es ereignet sich oft, daß man unter Gebildeten von einer „Dan-An- dersson-Periode" sprechen hört, wenn eine: bestimmte Phase der eigenen Entwicklungsgeschichte bezeichnet werden soll — wie von einer „Strindberg-Pe- riode" gesprochen wird. Man meint damit etwas wie eine Flucht in die Wildnatur, ein Ausbrechen aus der Haft der Zivilisation, um sich selbst wieder zu gewinnen.

Obzwar Dan Andersson bei der schwedischen Arbeiterschaft so populär ist, daß kaum ein Fest, Tanz, Gesang vorübergeht, ohne daß eines seiner Sehnsucht- oder Trutzlieder gesungen wird, entstammt er nicht dem Proletariat. Seine Heimat ist das einsame Waldgebiet des Nordens, die Finnmark, wo einst Finnen für die Waldarbeit angesiedelt wurden: an der nördlichen Grenze der Provinz Darl karlien. Hier kam Dan Andersson am 6. April 1888 zur Welt, und die Armut war ein Geschenk, das ihm schon in die Wiege gelegt war.

Als seltsame Gestalt in der dunklen Legende dieses Lebens steht der Vater vor uns. Er gleicht in gewissem Sinn einem Propheten des Alten Testaments, und in der Tat könnte der zarte Mann mit dem langen Bart, den scheuen, glimmenden, schiefen Augen, dem tiefen Ernst des Gesichtes einer der christlichen Volkspropheten sein, die schon oft predigend durch dieses Land gezogen sind. Er war eine Art Seelsorger für die Bevölkerung seines Sprengels. Obzwar er als Lehrer nur 125 Kronen im Quartal verdiente, was nicht allzuviel ist, wenn man; für eine Frau und sechs Kinder zu sorgten hat, gelang es ihm, durch Nebenarbeit im Wald und auf dem Acker nicht weniger als — 600 Kronen zu ersparen, um sie dann zur Anschaffung einer Volksbibliothek zu stiften. Die strenge Rechtschaffenheit und innerliche Frömmigkeit dieses Mannes waren jedenfalls etwas, dem sich der Sohn nie völlig entziehen konnte.

Er ist freilich einer, dem es im Gebotenen nicht behagt, und deshalb sucht er Zuflucht bei den „Hummeln und Rosen“ — während des ganzen Lebens. Er wandert durch viele Berufe und bleibt keinem treu. Man glaubte früher, daß er auch Matrose gewesen sei, weil seine Seemannslieder so stark den Hauch der Wirklichkeit tragen, aber das ist nicht der Fall. Als Vierzehnjähriger war er zu Verwandten nach Amerika gekommen, aber nur acht Monate dort geblieben und dann wieder in die Heimat zurüdegekehrt. Die Matrosenlieder stammen von Erzählungen eines Seemanns, der mehrere Male um die Erde gefahren war und nun im Heimattrakt Dan Anderssons wohnte. Beide waren miteinander befreundet, und Dan Andersson pflegte ihm mit prachtvoller Aufrichtigkeit seine Seelennöte zu schildern. Die eigenartige literarische Korrespondenz zwischen den beiden: dem Waldarbeiter, denn das war der Dichter damals, und dem alten Seemann hoch im Norden, wäre wert, daß sie übersetzt würde.-

Eine Änderung in Dan Anderssons Leben brachte der Besuch der Volkshochschule in Brunnsvik. Die Volkshochschulen sind etwas für Skandinavien Charakteristisches. Es werden hier Schüler ohne Vorbildung aufgenommen, der Kontakt mit den Lehrern ist ein menschlich intimer. Obzwar der Lehrgang nicht streng vorgeschrieben ist und nicht mit Prüfungen abgeschlossen werden muß, weiß doch jeder, der nur einmal eine solche Stätte besucht hat, welche Möglichkeiten es dort gibt, um sich Wissen anzueignen. Die Wirkungen, die von diesen Anstalten ausgegangen sind — besonders von Brunnsvik in Darlekarlien —, haben in die Kultur des Landes tief eingegriffen.

1914 langte ein Brief bei dem — später berühmt gewordenen — Rektor der Volkshochschule Brunnsvik, Karl Erik Forsslund, ein, worin es unter anderem hieß: „Schicken Sie mir eine Chemie und eine lateinische Grammatik!" Unterzeichnet war dieses Schreiben von einem Waldarbeiter namens Dan Andersson. In einer darauffolgenden Lehrerkonferenz wurde der Fall besprochen und der Schreiber unmittelbar darauf eingeladen, am Wintersemester 1914/15 teilzunehmen.

Es zeigte sich zwar, daß er für Mathematik und Naturwissenschaft mehr als taub war, aber im Aneignen von Sprachen und Durchdenken philosophischer Probleme erwies er sich ungewöhnlich begabt. Durch einen der Lehrer gewann er Einblick in das Wesen der Religionen, und so wurde dem schwedischen Waldarbeiter die Baghavadgita vertrauter als manches europäische Buch. Durch eine Lehrerin erfuhr er etwas über die katholische Kirche. Später ist er dann auf diesem Umweg von seinem Naturheidentum zum Gott des Christentums zurückgekehrt, freilich ohne Konfession, ohne Bindung.

Dan Andersson war unter anderem Köhler, Waldarbeiter, Redner des Guttemplerordens, Journalist, Agent, Volksschullehrer. Er hatte allerdings nirgends dauernd Bestand, am wenigsten als Grubenarbeiter, wo er sich, kaum daß man ihn hinabgeseilt hatte, sogleich wieder ans Tageslicht bringen ließ. Auch als Verkäufer von Eskilstuna-Stahlmessern scheint er nicht allzuviel Glück gehabt zu haben. So kann man wenigstens aus einem Bericht schließen, der von einem Kleinhändler aus Skattlösberg stammt. „Er (Andersson) kam eines Abends zu uns, und seine Tasche mit Messern stellte er vor die Tür. Wir gaben ihxt Essen und Kaffee, und so saßen wir und plauderten bis tief in die Nacht. Er blieb während der Nacht bei uns, und am nächsten Morgen nahm er seine Tasche und wanderte weiter. Daß er gekommen war, um seine Messer zu verkaufen, daran dachte er niemals."

Das mag für den Verdienst nicht gerade förderlich gewesen sein, wohl aber für seinen eigentlichen Beruf. Er hatte da besser als auf andere Weile Gelegenheit, das Volk und die merkwürdigen Originale kennenzulernen, die in den verborgenen Gegenden seiner Heimat leben und die der Fremde auch mit dem Baedeker nicht entdecken kann. Seine Bettler Ring-Anders, Medelpads-Pelle, Dob- Lasse oder der arme Narr Karis Janken, der die Gewohnheit hat, mit einem hölzernen Schlegel auf Treppenstufen zu schlagen, alle die Seltsamen, die er in prachtvollen Versen gestaltet hat, sind ihm da begegnet. Er schreibt einmal darüber:

„O. H. weiß nicht, daß die Hauptfigur des Buches wirklich existiert. Wie sollte er es wissen, da er die Wälder nicht kennt. Da er keine Ahnung davon hat, wie viele Arten von intellektuellen Typen die halbzivilisierte O'dlaiįjlschaft hervorbringt." Ein anderes Matflehnt er sich aus dem Betrieb der Göteborger Zeitung „Ny Tid", wo er sich als Journalist um kärgliches Honorar durchbringt, zu seinem Volk im Walde zurück. Müde von der Arbeit an der Rubrik „Wahr und unwahr", die er zu redigieren, und des wöchentlichen Artikels, den er zu verfassen hat, schreibt er: „Es wird mir auf jeden Fall schlimm zumute, wenn ich an den Wald daheim denke, an die Berge, an die Moorheide, an das Volk. Diese alten Kernmenschen da oben in den Finnmarken, die dahingehen und eingegraben werden an der Kirche von Gran- gärde, ohne daß ich sie vielleicht jemals Wiedersehen darf. Ich will dort oben sein und ihren Kampf mit der Not und dem Winter mitleben. In einer Hütte liegen beim Feuer. Aber ich gehe in mein altes Pensionat statt dessen, und esse und trinke Kaffee in demselben Cafe jeden Tag."

Er hielt es auch nicht lang in der Zeitung aus. Nach einigen Wochen war er verschwunden, wie er dies immer und überall zu tun pflegte. Die Redaktion von „Ny Tid“ bekam einen Brief, worin er meldete, er befinde sich im Zug nach Grangärde. Aber man brachte dem Dichter Verständnis entgegen und telegraphierte zurück, daß er willkommen sei, wenn er zurückkehre. Das tat er denn auch unmittelbar und saß dann wieder an seinem alten Platz in der Redaktion — freilich nicht lange ...

Daß er zum Dichter und sonst zu nichts anderem berufen war, wurde ihm allmählich zur Gewißheit. Zwei Strophen ausseinem viel gesunkenen Gedicht „Der Spielmann" mögen dies darstellen.

Ich bin Ipielmann und ith spiele beim Leichenschmaus und Tanz,

in der Sonne und wenn Wolken dunkeln Um des Mondes bläuen Glanz.

Euren Rat will ich nicht hören, und ich rfpiel, wie mirs gefällt.

Ith will spielen Und vergessen, daß ich bin auf dieser Welt.

Euer Hol will ich nicht hacken und nicht graben euren Grund,

unterm Faulbaum will ich liegen, bis sich neigt die Tagesstuhd.

In dem roten Brand de6 Abends nehm ich meine Violin,

spiel, bis euch das Auge leuchtet Wie die Sonne, die sank hin.

Dan Andersson gleicht in gewisser Hinsldht Hermann Hesse: die deutsche Landstrėitherromantik setzt sich hier auf eine nordisch dunklere Weise fort. Das Leben der Wlldnatur gegenüber dem ge schwätzigen Mittelmaß der Zivilisation, die verborgenen Schicksale der Land schaft gegenüber der sich vordrängenden Nivellierung der Stadt, aber auch seine eigene Verzweiflung über ein vergeh lithes, sündiges, vergiftetes Leben gegen über dem reinen Licht der Heiligkeit, das er ahnt « das sind die Motive der letzten Periode, Er hat nichts mit literarischen Fehden u tun, das Gffisielle ist ihm fremd. Mitten aus dem heidnischen Grund seines ungelösten Lebens erwächst ihm die Sehnsucht nach dem Kreuz.

In dem großangelegten späten Gedicht „Purgatorium" stellt er einen Traum dar, wie ihm Träume überhaupt oft Anlaß zum Gedicht boten. Die letzten drei Strophen, wo nach heftigem Kampf die Lösung erreicht wird, mögen Dan An- derssons anima chris tiana aufzeigen.

Ich ging, und der Weg war lang und war hart,

doch idh fühlte: vorbei war die Qual, als die Nacht war um und ich fand heraus aus de« Bergwalds seufzendem Tal.

Und alles war Frieden, die Zeit war neu, im Morgenschimmer so klar, ein Anger mein Weg, wo von Rosen umhegt da« Grobe, Besudelte war.

Der Herr dė6 Kreuzes regierte dort, es loderte weiß seine Hand, und sein Licht gab Licht dem Sünder am Weg wie die Sonne dem seligen Strand.

Mein Mördergewand zu Fetzen zeretoh, wie Herbstlaub, wenn Pröhlingswind weht, und der Fürst seine herrliche Hand erhob Und sagte leise: Bet!

Und ich kniete vor emer Welt von Licht und alle Schuld war gezollt, und ein Feuerwind rein in den Raum brach ein,

und Uh brannte in Wolken von Gold.

Man grub ein Grab auf blumigem Grund Und gab meiner Asche ein Haus,

Und mein Leib brannte aus, und ich war frei und trieb in ein Lithtmeer hinaus.

(Beide Gedichte Vom Verfasser des Artikels übersetzt.)

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