6899264-1980_21_16.jpg
Digital In Arbeit

Der Vorsprung

Werbung
Werbung
Werbung

Der größte Sprung nach vorne, der diesem Lande, und mit ihm den ,,Erblanden” zwischen Belgien und Siebenbürgen, zwischen Böhmen und der Toskana jemals gelang, ereignete sich in den vierzig Jahren der Regierung Maria Theresias. Unter Joseph vergrößerte sich dieser Vorsprung so sehr, daß es fast zur Katastrophe gekommen wäre.

Um diesem grandiosen Erbe in zwei Fernsehabenden gerecht zu werden, bedurfte es eines Dichters. Daß György Sebe-styen hinreißende Texte schreibt, sogar dann, wenn diese Texte nahezu ausschließlich aus Zitaten bestehen, weiß man hinlänglich. Wie aber diese Zitate aus Tagebüchern, Akten, Briefen und Erlässen in Bilder umsetzen? Dem Regisseur Kurt Ju-nek, dem (ebenfalls zitierenden) Musiker Michael Dittrich und allen anderen Mitarbeitern Se-bestyens ist diese Quadratur des Zirkels gelungen.

Ich weiß nicht, ob diesem und jenem Zuseher bewußt wurde, warum der Autor schon das Kind, die „Resl”, erleben und erkennen läßt, was alles ringsum nicht in Ordnung ist, und was da alles zu verbessern wäre. Und ich weiß nicht, ob alle Zuseher die Darstellung dieses langsamen Sterbens in seiner ganzen Größe erkannt haben. Die Selbstvorwürfe eines wahrhaft großen Menschen, der sein Leben als Stückwerk durchschaut. Denn da wird nichts beschönigt und nichts vertuscht, weder die Mißerfolge, noch die zeitbedingten Vorurteile. Aber was bleibt, ist dennoch ein ungeheures Erbe, ein Erbe an Menschlichkeit, das weiterlebt.

Die Märztage des Jahres 1938 sind im letzten nur verständlich als ein Massenaufstand gegen dieses Erbe, diesen Vorsprung, den man außerhalb der „Erblande” nie begriffen hat. Aber der Vorsprung, das Erbe, waren unausrottbar. Immer wieder treten sie irgendwo irgendwie zutage. Und darin besteht in Wahrheit der „Sonderfall Österreich”.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung