Der Zertrümmerer alter Formen

Ach, vergeblich das Fahren! / Spät erst erfahren Sie sich: / bleiben und stille bewahren / das sich umgrenzende Ich.” So heißt es in Gottfried Benns Gedicht „Reisen”. Des Dichters Lebensreise hegt nun konzentriert und detailversessen vor uns. Drei Jahre vor seinem Tod 1956 schrieb er in einer Schlußstrophe: „Es gibt nur zwei Dinge: die Leere / und das gezeichnete Ich.”

Diese Lebenswanderung eines Gezeichneten, der selbst die europäische Lyrik des 20. Jahrhunderts in kühnen Strichen neu gezeichnet hat, umfassend darzustellen, bedeutet zweifellos eine Herausforderung. Wenn man dem Verlag Glauben schenken darf, so hat Werner Rübe darauf fast 40 Jahre verwendet. Der Verfasser legt den Schwerpunkt gleichermaßen auf Werk- wie Lebensschau. Rübe entfaltet dabei Benns tragisch einsames Dasein mit allen seinen Irrungen, den lichten Höhenflügen und privaten Obsessionen, ohne sensationslüstern zu wirken, und Rübes Werkinterpretation muß mustergültig und einfühlsam genannt werden, fernab germanistischer Faktenhuberei.

Ein weiteres Verdienst Rübes ist es, daß er den weltanschaulichen Implikationen in Benns dichterischem Schaffen sehr genau nachspürt, um so die durch sie zum äußersten provozierten Reaktionen einer Gesellschaft offenzulegen, von der Renn annahm, daß sie zum Untergang verurteilt sei.

Benn, dessen poetisches Wort wie ein Skalpell das Seeleninnerste freilegt, hat er uns Heutigen noch etwas mitzuteilen? Theodor W. Adorno sei hier als unverdächtiger Zeitgenosse zitiert: „Benn hat in einem höheren politischen Sinn immer noch mehr mit uns zu tun als sehr viele andere.”

Zum besseren Verständnis dieses komplizierten Charakters wird Werner Rübes Buch wesentlich beitragen können.