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Die falschen Gespenster

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Der österreichische Medienaufschrei war ein einheitlicher, als vor kurzem der angebliche Brief von Alois Mock an die britische Premierministerin Margret Thatcher als Faksimile in der „Jerusalem Post” veröffentlicht wurde. Nicht nur Politiker der Koalitionsregierung, auch die österreichische Bevölkerung fand sich, wenn man den Medien glauben darf, zu einem Schulterschluß gegen die „Jerusalem Post” zusammen.

In wenigen Tagen ist „Jerusalem Post”-Chefredakteur Ari Rath, ein gebürtiger Wiener, Herrn und Frau Österreicher bestens bekannt geworden. Und erhält auch Post aus Österreich: Morddrohungen gegen das gesamte Judentum - mittels eines Aerogramms vom 12. Februar 1987 mit dem Foto vom Stephansdom etwa.

Haben Ari Rath und seine mitverantwortlichen Entscheidungsträger in der Redaktion die journalistische Verantwortungspflicht verletzt?

Ari Rath rekapituliert.

„Bereits Ende November des Vorjahres sind uns Gespräche von Spitzenleuten der ÖVP zu Ohren gekommen, die genau in die Richtung des sogenannten Mock-Brie-fes gingen. Und kurz nach der Regierungsbildung haben wir von sehr ernstzunehmenden Persönlichkeiten gehört, daß ein stilles Einverständnis zwischen Vertretern der beiden Großparteien besteht, daß irgendwie ein Weg gefunden werden müsse, Bundespräsident Kurt Waldheim auf ehrenhafte, elegante Weise, zum Beispiel aus Gesundheitsgründen, zum Rücktritt zu bewegen.”

Als Ari Rath das erste Mal von diesen Plänen hörte, dachte er sich: „Moment, wie stellen die sich das denn vor? Aber da sich Kurt Waldheims -politische und auch persönliche Lage seit seinem Amtsantritt nicht verbessert hatte, war die Sache nicht so unlogisch.”

Dann kam dieser Brief. Daß er verdächtig ausgesehen hat, war Ari Rath klar; dann gab es jedoch die Bestätigung von Downing-Street in London, wo angeblich ein Brief von Alois Mock bereits am 18. Dezember eingetroffen war.

Auch die Antwort aus London, wonach der Inhalt des Briefes bezüglich Kurt Waldheim „weder bestätigt noch dementiert werden könne”, beschleunigte die Entscheidung der Chefredaktion der „Jerusalem Post”. Denn der Inhalt des angeblichen Mock-Schreibens gab im großen und ganzen jene Absichten wieder, die als Meinungen maßgeblicher Politiker von SPÖ und ÖVP in Jerusalem bereits bekannt waren.

Ari Rath: „Die Schwelle der Sorgfaltspflicht wurde somit etwas flacher — wenn wir auch die Echtheit der Kopie nicht beweisen konnten und können. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, denn die .Jerusalem Post' ist eine verantwortungsbewußte Zeitung, und wir sind nicht auf Sensationsberichte aus.”

Es ist bekannt, daß sich Ari Rath am 3. Oktober 1986 mit Bundespräsident Waldheim - über dessen Wunsch — in seinen Amtsräumen getroffen hat. Es ging dabei um die Frage, wie man die Auseinandersetzungen im Laufe des Wahlkampfes, die schrillen antisemitischen Töne wieder ins Lot bringen könne. Rath meinte damals, es bedürfe einer „dramatischen Ansprache Waldheims, in der nicht nur jene Passagen aus der persönlichen Geschichte — die aus Versehen oder Vergeßlichkeit verschwiegen worden sind — zur Sprache kommen, sondern daß der Bundespräsident „ein für allemal Österreichs Mitschuld an den Naziverbrechen offen erklären” sollte.

„Der Bundespräsident” — so Rath gegenüber der FURCHE -„war von diesem Vorschlag sehr angetan und hatte dafür sogar den kurz bevorstehenden jüdischen Versöhnungstag mit einem Besuch in der Synagoge im Auge.” Für die Vorbereitung sei aber die Zeit zu kurz gewesen, und so schlug Rath den 26. Oktober, den österreichischen Nationalfeiertag, für die Ansprache vor.

Inzwischen weiß man, daß es zu dieser Rede nie gekommen ist. Für Rath eine vertane Chance, die vielleicht nicht wieder kommt. Was Rath insbesondere für die österreichische Jugend sehr bedauert.

„Wenn ich nun beschuldigt werde, der internationalen jüdischen Mafia anzugehören, dann ist mein Gespräch mit Bundespräsident Waldheim der beste Beweis dafür, daß die Herren in Wien falsch liegen.”

Im israelischen Volk ortet Ari Rath keine antiösterreichischen Gefühle. „Israel war immer offen gegenüber Österreich. Das eigentliche Problem ist, daß Israel der Antisemitismus in Österreich in die Schuhe geschoben wird. So werden gleichsam die Täter zum Opfer. Der Antisemitismus ist ein Problem Österreichs, damit sollte sich das österreichische Volk, sollten sich aber auch die Politiker und Medien tapfer und ehrlich auseinandersetzen — und nicht die falschen Gespenster an falschen Adressen suchen. Ich sage das mit Schmerz und nicht mit Haß.”

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