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Die „Neue Welt” in Bühnenbildern

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„Molla la randa, molla la randa... Lass' die Segel locker, lass' die Segel locker.” Die Stimme von Christoph Kolumbus begleitet den Besucher auf die von Handwerkern der Cinecitta naturgetreu rekonstruierte hölzerne Karavelle, die am Freitag, den 3. August 1492 eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang den Hafen von Palos verließ. Und mit Kolumbus läßt der Besucher der Ausstellung „Nuevo Mundo 1492-1992” in Rom das alte Europa zurück, unternimmt eine Seefahrt ins Unbekannte und setzt seinen Fuß am 12. Oktober desselben Jahres an den Strand der Neuen Welt. Um umgerechnet nur 90 Schilling kann man einen Walkman mit entsprechender Audiokassette kaufen.

Diese Szenen und grandiosen Bühnenbilder hat sich der polnische Film-und Theaterregisseur Krzysztof Za-nussi ausgedacht, um im Braccio di Carlo Magno, unter den Kolonnaden des Petersplatzes in Rom, eine wirklich sensationelle Ausstellung zu inszenieren, die den Namen „Nuevo Mundo 1492-1992,Neue Völker.neue Kulturen, neue künstlerische Ausdrucksformen” trägt. Mittels dieses hier zum ersten Mal angewendeten Systems zeigt der Vatikan zum Abschluß des Kolumbus-Jahres (bis 23. Mai) das Abenteuer der Menschheit, das die Neue Welt hervorbrachte.

„Zum ersten Mal mache ich eine Ausstellung”, erklärt Zanussi, „ich glaube, daß die Leute heute mehr an die audiovisuelle Sprache gewöhnt sind. Diese Ausstellung ist für Menschen gedacht, die nach Rom kommen und etwas Neues sehen wollen, was sie sehen, muß klar und einfach sein. Daher benützen wir Bühnenbilder, wie in einem Filmstudio, die schönen und bedeutenden Objekte werden in Szene gesetzt, das ist wie ein Kommentar, der helfen soll, die Ausstellung auch für einfache Leute übersichtlich und verständlich zu machen.”

Das ist ihm auch gelungen. Nach der Fahrt übers Meer gelangt man in einen kunstvoll aus Holz geschnitzten, dichten Urwald, in dem man auf das aus Mexiko stammende Bild der Madonna von Guadalupe stößt, die 1531 dem Bauern Juan Diego erschien und natürlich ein Mulattengesicht hatte. Sie wurde bekanntlich zum Symbol einer Kunst, die aus dem Zusammentreffen von Christentum und einheimischer Kultur entstanden ist.

Dann steht man vor der Fassade einer lateinamerikanischen Barockkirche, in ihrem Inneren Madonnen-, Engels- und Heiligenbilder des lateinamerikanischen Barock in eindrucksvollen Licht- und Schattenspielen. Auf dieser Reise sieht man unter anderem die Weltkarte von Girolamo da Ver-razzano, Masken von präkolumbianischen Gottheiten, vielfarbige Holzskulpturen, dunkelhäutige Madonnen, Mutter und Kind mit schiefaufgesetzten mexikanischen Hüten.

Franziskaner-Dialog

Die bisher unveröffentlichten Dialoge der ersten zwölf nach Mexiko entsandten Franziskanerpatres beeindrucken ebenso wie der erste Brief des Kolumbus mit der Beschreibung der „Nuevo Mundo”. Von der Kos-mographie des Tolomeo wandert man zu drei von den zwölf noch existierenden aztekischen Kodizes. Auch sieht man das Traktat zur Verteidigung der Indios von Bartolomeo de las Casas, das jedoch die demographische Katastrophe und die Ausbeutung der Einheimischen nicht verhindern konnte.

Die Schau will sich von der schwarzen und der weißen Legende der Eroberung der Neuen Welt distanzieren, aber beide Wirklichkeiten erzählen. 115 sonst kaum der Öffentlichkeit zugängliche Werke aus sechs lateinamerikanischen Ländern und aus den vatikanischen Geheimarchiven wurden hier zusammengetragen. Das Abenteuer „Nuevo Mundo” endet mit der Perspektive eines Sternenhimmels über dem amerikanischen Kontinent, einem Kreuz und einem Licht, die den Weg andeuten sollen, den die Evangelisierung „bis an die Grenzen der Welt” noch zu vollbringen hat.

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