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Trauma und Illusion

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Die „Verstaatlichung“ ist kein Kind der Zweiten Republik. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie nur Realität und gewann eine konkrete Form, die scheinbar klaren theoretischen Konzeptionen hingegen, die ihr als Grundlage dienen sollten, zerrannen und konnten die Probe vor der politischen und ökonomischen Wirklichkeit nicht bestehen; ihr Schicksal teilen die Antithesen.

Auch nach dem ersten Weltkrieg stand die „Sozialisierung“ im Mittelpunkt der wirtsohaftspolitischen Diskussion. Christlichsoziale und Sozialdemokraten beschlossen im Parlament die Errichtung einer Soziali-sierungskommission. In ihrem Aktionsprogramm von 1919 forderten die Christlichsozialen „Sozialisierung“ der Verkehrs- und Bergwerksunternehmungen und jener großen Industriekonzerne, die Massenverbrauchsartikel erzeugen und ihrem Wesen nach leicht eine Monopolstellung erlangen könnten, durch Bund, Länder oder Gemeinden. Nie jedoch wandten sie sich gegen das Eigentum an den Produktionsmitteln an sich. „Sozialisierungen“ sollten nur Mißbräuche verhindern.

Motor der Sozialisierungsdis-kussion war aber die Sozialdemokratie. Ihr im Frühjahr 1919 veröffentlichtes Aktionsprogramm sah die planmäßige und systematische „Sozialisierung“ aller ihrer Ansicht nach dafür schon reifen Zweige der Volkswirtschaft vor. „Sozialisierung“ als Übereignung der Unternehmungen in die Hand der darin tätigen Arbeitnehmer war ein alter ideologischer Wunsohtraum, der in vielen Varianten sozialistischer Theorie auftauchte. „Verstaatlichung“, Uberführung der Unternehmungen in Staatseigentum war nur der erste Schritt, der zur „Sozialisierung“ führen sollte. Nicht Verstaatlichung, Nationalisierung, sondern „Sozialisierung“ war das Ziel. Der neue .revolutionäre Enthusiasmus der Arbeiterschaft sollte dadurch mobilisiert werden, daß die Verantwortung für die Betriebsleitung ihnen und nicht den Aktionären oder sonstigen Eigentümern übertragen werden sollte. Aus diesen Sozialisierungsbestre-bungen ist dann nicht viel geworden, ohne daß die Debatte darüber In Österreich je verstummt wäre.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde dann „verstaatlicht“. Für die Sozialisten ging damit ein alter ideologischer Traum in Erfüllung. Für viele Politiker der Volkspartei, die aus dem starken sozialreformerischen Flügel der Christlichsozialen stammten und in der ersten Nachkriegszeit das Gesicht der Partei mitprägten, war die „Verstaatlichung“ nicht unter allen Umständen und von vornherein abzulehnen; sie standen ihr zwar nicht enthusiasmiert, aber auch nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, schließlich standen „Sozialisierungen“ auch in ihrenu Programm.

Die Wirtschaft konnte sich mit der „Verstaatlichung“ ebenso wie nach dem Ende des ersten auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht befreunden. Für sie war es der Anfang vom Ende der Unternehmerwirtsohaft. Die Sprecher der Wirtschaft verhehlten nicht ihre Besorgnisse, mehr konnten sie 1946 nicht tun.

Unterdessen sind seit dem ersten Verstaatlichungsgesetz fast neunzehn Jahre verstrichen, die ideologischen Fronten aber sind so unverändert geblieben, wie sie sich 1919 und auch schon vorher formiert hatten. Was 1919 Zukunftstraum gewesen ist, muß es 1965 nicht mehr sein.

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