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Du, mein süßer Freund!

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Recht von Herzen sei Ihnen gedankt, daß Sie mich so tief in Ihr Wesen, in Ihren Zustand hineinsehen lassen“, schreibt Goethe an den Berliner Maurer- und Baumeister, Komponisten und Musikpädagogen Carl Friedrich Zelter, der ihn „Mein süßer Freund und Meister! mein Geliebter, mein Bruder!“ nennt.

Die Musik ist zwar erster Anlaß für den Beginn des gleichermaßen

interessanten wie rührenden Briefwechsels und zentrales Thema - Zelter vertont mit Begeisterung Goethes Lieder und nimmt unverkennbaren Einfluß auf dessen Musikverständnis —, aber keineswegs das einzige dieser herzerfrischenden und durchwegs vertraulichen Korrespondenz.

Die beiden Herren besprechen ihren Arbeitsalltag genauso wie die neuesten Theater- und Opernaufführungen, nehmen regen und warmen Anteil an den

manchmal recht tragischen Familienangelegenheiten des andern und ergehen sich in wissenschaftliche Betrachtungen, angefangen von der Kunst des Altertums über Philosophisches bis zu Goethes „Farbenlehre“, die bei den Fachgelehrten auf wenig Sympathie stößt. Der Geheimrat und sein „teuerster Freund“ sind sich einig mit Voltaire und Franklin, welcher ihren „Kleinigkeits- und Widerspruchsgeist unerträglich findet“.

Selbst der Hof- und Gesellschaftsklatsch ist eine Mitteilung wert. „In hiesiger Charite ist ein Weibsen von Zwillingen entbunden“, berichtet Zelter. Ein Kind ist weiß, das andere ein Mulattenkind, „worüber die Kreisende vor Schrecken außer sich gewesen, ihren Tod erwartet und gestanden hat, daß sie in einer und derselben Zeit zweien Männern verschiedener Farbe zur Unterlage gedient“.

Man teilt Ff eud und Leid - und nützliche Beziehungen. Einmal will Goethe seine wertvolle Bronzemedaillensammlung gegen einen „antiken Stier“ tauschen; Zelter vermittelt. Dann braucht Goethe neue Ofen, möglichst billig; Zelter weiß Rat. Goethe beglückt den Freund mit seinen Werken, schenkt ihm einen Ring, Zelter bedankt sich mit köstlichen Rüben. ,And so forth and for ever“, und „fahren Sie fort, mich zu lieben“, wie sich Goethe in einem Schreiben verabschiedet.

Während der Dichterfürst bisweilen gern einen dozierenden Ton anschlägt und mit Geistesblitzen brilliert, schreibt Zelter temperamentvoll und witzig, mäßigt erst im Alter seinen barocken Stil.

Was Goethe einst nicht einmal Schiller gegönnt hat, gewährt er dem Musiker: das freundschaftliche Du. Neben dem Briefwechsel

mit dem geschätzten Dichterkollegen hat er nur den mit Zelter zur Veröffentlichimg bestimmt — eine Auszeichnung, die dieser zu den schönsten seines Lebens zählt.

Die Auswahl der Briefsammlung wird durch ein ausführliches Vorwort und durch Kommentare von Werner Pfister ergänzt, die die Beziehung der beiden Persönlichkeiten zueinander mit interessanten Details beleuchten.

Nicht nur die Freunde Zel-ter'scher Kompositionen, nicht nur Goethe-Leser dürfen sich über das Buch freuen; allen, die mit dem Klassiker der Literatur nicht viel mehr als den „Werther“ oder das „Götz“-Zitat verbunden haben, könnte diese einzigartige Korrespondenz den Zugang zum Werk Goethes erleichtern.

GOETHE-ZELTER Briefwechsel. Auswahl, Vorwort und Kommentar von Werner Pfister. Artemis Verlag, Zürich und München 1987. 437 Seiten, Ln., öS 383,-.

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