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Egon Friedell und sein Kreis

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Egon Friedell gehört zum Wien der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts wie seine Freunde: die Dichter Peter Altenberg und Alfred Polgar, der Architekt Adolf Loos und Karl Kraus, der große Satiriker und Verteidiger der Heiligkeit der Sprache (wie fehlt er unserer Zeit!), der Philosoph Otto Weiniger, der mit 24 Jahren Selbstmord beging („Geschlecht und Charakter“), der Maler und Karikaturist Hollitzer.

Wie viele Österreicher, wurde Friedell von seinen Zeitgenossen unterschätzt. Man hielt ihn für einen Lebenskünstler, einen amüsanten Conferencier, den „Eckermann Peter Altenbergs“, als den er sich selbst bezeichnete, den dilettierenden Schauspieler bei Reinhardt (der ihm jahrzehntelang die Treue hielt); später, im Burgtheater, wurde er der Öffentlichkeit als Verfasser der wenig erfolgreichen „Judastragödie“ bekannt. Man lachte über seinen „Goethe“, zusammen mit Alfred Polgar verfaßt, wo der Olympier einen Prüfungskandidaten ersetzt und in Fragen über Goethe durchfällt. Ich erinnere mich, wie Friedell einmal in dem fortschrittlichen Mädchengymnasium von Dr. Eugenie Schwarzwald eine Literaturstunde gab. Sie wurde zu einem ungeheuren humoristischen Erfolg. Im Cabaret Fledermaus, dessen Leiter er war, hielt er das Publikum mit seinen Anekdoten in der Hand. Selbst Andersen-Märchen wurden in seinen Vorlesungen Quellen reiner Heiterkeit.

Nach dem Erscheinen seiner gewaltigen „Kulturgeschichte der Neuzeit“, der vor allen geheimgehaltenen Arbeit eines Lebens, nahmen die meisten Wiener keine Kenntnis von deren Bedeutung. Sie aber sichert Friedell einen Platz in der Weltliteratur.

Nun hat Peter Haage, der 1940 geboren wurde und Friedell nie gesehen hat, in seinem jüngsten Buch mit dem nicht ganz unberechtigten Titel „Der Partylöwe, der nur Bücher fraß“ ein erstaunlich richtiges Bild dieses seltsamen Menschen gezeichnet. Auch die letzten Einzelheiten stimmen. In acht Jahren hat Peter

Haage die Dokumente und Augenzeugenberichte gesammelt. Es ist keine Hymne auf Friedell entstanden, sondern wir erleben diesen mit all seinen „Warzen“ und in seinen genialen Aspekten, und das geistige Wien jener Zeit wird lebendig. Peter Haage macht vieles klar, zerstört manche Legende; er schildert auch Friedells Selbstmord im März 1938, als dieser sich aus dem Fenster seiner hochgelegenen Wohnung in der Gentzgasse in Währing stürzte, weü SA-Leute an seiner Tür klopften. Auch hier war der Autor darauf aus, die Wahrheit und keine halbe Wahrheit zu erforschen. Friedell war ein komplizierter Mensch. Vielleicht paßt kein Wort besser auf ihn als das von Schnitzlers Paracelsus: „Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug.“

Über kleine Druckfehler in Haages Buch kann man hinweggehen, aber die niederösterreichische Statthalte-rei, die Friedell seine Namensänderung bewilligte (er wurde als Egon Friedmann geboren), hatte nichts mit einer Stadthalterei zu tun. Niederösterreich ist und war ein Land. Bedauerlicher, daß wir keine der köstlichen Altenberg-Anekdoten erfahren, ob sie nun, wie die meisten, authentisch oder von Friedell erfunden seien. Sie werfen auf beide ein Licht. Ausgezeichnet sind die Photos von Friedell in mancherlei Gestalt, seine Karikaturen als „Partylöwe“ und Kabarettist, die Bilder von Adolf und Lina Loos, Reinhardt, Alfred Polgar und Karl Kraus.

DER PARTYLÖWE, DER NUR BÜCHER FRASS. Egon Friedell und sein Kreis. Von Peter Haage. Ciaassen Verlag, Hamburg und Düsseldorf.

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