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Ein Auftrieb für die Rächer?

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Die Konföderation der politischen Gefangenen in der Tschecho-Slo-wakei hat in einem offenen Brief Äußerungen des in der Dubcek-Ära als ZK-Sekretär tätigen, jetat in Österreich lebenden Politologen Zdenek Mlynäf zum neuen sogenannten Lustrationsgesetz als eine Frechheit bezeichnet. Mlynäf hatte in einem offenen Brief an Präsident Vaclav Havel dieses Gesetz kritisiert und darauf hingewiesen, daß es zur „Diskriminierung einer großen Anzahl von Menschen führen" könnte. Er forderte in dem im ehemaligen Kommunistenorgan „Rüde Prävo" am 7. Oktober veröffentlichten Text Havel auf, das Gesetz nicht zu unterschreiben.

Bei diesem Gesetz handelt es sich um eine „Säuberung" des öffentlichen Lebens in der CSFR. Kommunisten, Mitglieder und Mitarbeiter des Geheimdienstes StB, sollen demnach für fünf Jahre von Funktionen in folgenden Organisationen und staatlichen Verwaltungseinrichtungen ausgeschlossen sein: Organe der Staatsadministration, Armee, Föderaler Informationsdienst, Polizei, Präsidentenbüro, Büros aller drei Parlamente, Ämter aller drei Regierungen, Staatsrundfunk, Fernsehen und Presseagentur, Staatsbetriebe, höchste Justizinstitutionen, Geldinstitute, Aktiengesellschaften mit mehrheitlich staatlichem Anteil. , Um dieses Gesetz war es in der CSFR zu heftigen Kontroversen gekommen. Viele Opponenten meinten, es könnte eine „Hexenjagd" auslösen. Die unterschiedlichsten Meinungen gingen quer durch alle Parteien. Als am 4. Oktober das Gesetz in seiner härteren Form angenommen wurde, regte sich neuer Protest. Mlynäf wandte sich dagegen. Die Gesellschaft der politischen Gefangenen fragt den Politologen, warum er denn seinerzeit nicht gegen den Terror in der Stalin-Zeit protestiert habe: „Bleiben Sie im österrei-c h i s c h e n Nestchen und mischen Sie sich nicht in unsere Angelegenheiten ein", heißt es im offenen Brief.

Präsident Havel hat am vergangenen Sonntag im Rundfunk zum Lustrationsgesetz erklärt, daß die Exponenten des Totalitarismus eine „großzügige Chance" bekommen hätten, in Ruhe ihre Funktionen zu verlassen", sie hätten diese Gelegenheit jedoch nicht genützt. Weil die Gesellschaft keine Kraft zur Selbstreinigung von unten hatte, müsse dies jetzt eben ein Gesetz von oben versuchen. In diesem Sinne unterstütze er das Gesetz, wenngleich er dessen Problematik kenne. Havel meinte, daß viele „Rächer" seinerzeit selbst passiv waren oder sogar kollaborierten.

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