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Das Erwachen der alten Dämonen

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Unter der Last des Erbes des sogenannten Realsozialismus stöhnen alle einstigen Ostblockländer. Die Methoden der Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit sind vielfältig, und die Stasi-Debatte in Deutschland zeigt, welche Dimensionen diese Form der Vergangenheitsbewältigung annehmen kann.

In Polen hat der einstige Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki Unmut erweckt, als er eine „Politik des Schlußstrichs" favorisierte, und in der CSFR gibt es Diskussionen um das „Durchleuchtungsgesetz", mit dem einstige führende KP-Funktionäre dadurch bestraft werden sollen, daß sie fünf Jahre lang keine öffentliche Funktion ausüben dürfen.

Vaclav Havel hat nun in einem Interview mit dem polnischen Publizisten Adam Michnik sehr differenziert zu diesem Problem Stellung genommen. Das Interview ist in Heft 4 der Europäischen Revue „Transit" abgedruckt, und Havel warnt vor Extrempositionen. Er bemüht sich um das rechte Maß und versucht klarzustellen, daß die Folgen immer fatal seien, wenn man glaubt, die Vergangenheit könne ignoriert werden. Er warnt vor Rache, versteht aber die Forderung nach Gerechtigkeit, die von einstigen Verfolgten des KP-Regimes erhoben wird.

Havel stellt gleich zu Beginn des Gespräches seine persönliche Meinung klar: Kurz nachdem er Präsident geworden war, wurde

ihm eine Liste aller jener Kollegen überreicht, die einst schriftliche Denunziationen gegen ihn verfaßt hatten. Der neue Präsident „verlor" nicht nur sofort diesen Zettel, sondern „vergaß" auch, welche Namen darauf standen. Er neigt eher dazu, die Dinge auf sich beruhen zu lassen: „Ich habe zu diesen Dingen eine innere Distanz, denn ich habe die Mühlen dieses Systems kennengelernt und weiß, wie sie den Menschen vernichten können. Ich schrieb darüber Stücke oder Essays und bin dadurch mit dem Problem irgendwie fertig geworden. Deshalb habe ich kein Bedürfnis, jemanden anzuprangern, nur weil er kein Held war."

So spricht der Schriftsteller Havel. Der Politiker aber weiß, daß er nicht für die anderen Opfer des Systems reden kann. Vor allem dann nicht, wenn der Alltag zeigt, daß es vielen ehemaligen Opfern heute schlechter geht als ihren Verfolgern.

Vaclav Havel ist dafür, die Dinge beim Namen zu nennen. „Aber wir müssen es mit Ehrlichkeit und Umsicht, mit Takt, Großzügigkeit und Phantasie tun. Wo wir auf Schuldbekenntnis und Reue stoßen, sollte auch vergeben werden." Für ihn war der Kommunismus eine Art Narkose. Jetzt erwache die Gesellschaft wieder zu ihrem alten Zustand. Und neben alten Traditionen werden auch alte Dämonen wieder wach, die er in dem Interview beim Namen nennt: Antisemitismus, nationale Intoleranz und Fremdenhaß.

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