7024944-1989_08_03.jpg
Digital In Arbeit

„Rowdy“

Werbung
Werbung
Werbung

Als in diesen Tagen der tschechische Schriftsteller Vaclav Havel wieder einmal vor Gericht gestellt wurde, gab es unerwartete Reaktionen: Gegen das Regime in Prag kamen nicht nur Proteste aus westlichen Staaten — sondern auch aus Ungarn und Polen. So entsteht eine neue Solidarität.

Ihre Verfechter exponieren sich für einen Mann, der versucht, in der Wahrheit zu leben. „Versuch, in der Wahrheit zu leben“, diesen Titel hat der Dramatiker Havel einem Essay gegeben, in dem es um die Bedeutung der politischen Moral geht. Havel macht in dieser bekenntnishaften Schrift auch deutlich, daß es bei der Auseinandersetzung zwischen Ost und West längst nicht mehr um den Konflikt zweier Identitäten geht, sondern um die Krise der Identität selbst.

Der Versuch, in der Wahrheit zu leben, ist für den tschechischen Autor eine R ebellion des Menschen gegen die ihm aufgezwungene Position, die ihn demoralisiert; die Rebellion als Versuch, wieder die Verantwortung zu übernehmen. Erfordert dazu die Rehabilitierung von Werten, wie Vertrauen, Offenheit, Solidarität und Liebe.

Eine umfassende existentielle Revolution strebt er an: „Es ist also nicht so, daß die Einführung eines besseren Systems automatisch ein besseres Leben garantiert, sondern eher umgekehrt — nur durch ein besseres Leben kann man wohl auch ein besseres System auf bauen.“

Vor zehn Jahren wurde Vaclav Havel vor Gericht gestellt und mußte dann fast vier Jahre im Gefängnis verbringen. „Rowdytum“ wurde Havel und seinen neun Mitangeklagten diesmal vorgeworfen: Weil er und seine Freunde öffentlich des Studenten Jan Palach gedacht hatten, der sich 1968 aus Protest gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Prag verbrannt hatte.

Dieser .Jlowdy“ schrieb aus dem Gefängnis Briefe an seine Frau, die später als Buch veröffentlicht wurden. In diesem Buch steht auch der Satz: „Gleichgültigkeit und Resignation halte ich für die weitaus ernsteste Art des menschlichen Falles in das Nichts.“

Und deshalb wurde Vaclav Havel wieder verurteilt.

Er lebt nach dem Satz des tschechischen Philosophen Jan Patočka, der als Sprecher der „Charta 77“ (eine Funktion, die auch Havel eine Zeitlang ausübte) nach einem Polizeiverhör starb: ,J£s gibt Dinge, für die es sich zu leiden lohnt…“

Von Vaclav Havels Buch ,J3riefe an Olga“ wurden

4.0 Exemplare verkauft. Dazu bemerkte der Autor in einem Gespräch: ,J)as sind

4.0 Steinchen, aus denen meine Gewißheit zusammengesetzt ist, daß mich der Herrgott nicht vergeblich ins Gefängnis geschickt hat.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung