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Ein Poet der Wahrhaftigkeit

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In wanzenschweren Kasernenjahren (1849-1860) wurde Ferdinand von Saar zum Dichter der Novellen aus Österreich. O glückliche Arresttage, die er seinem Kommandanten durch vorsätzliche Dienstvergehen abluchsen konnte! In solcher Einsamkeit wuchs in ihm die Verantwortung des Künstlers: wegen dreier Worte wollte er einmal einen ganzen Druckbogen einstampfen lassen.

Keine schwache Zeile ist aus seiner Hand hervorgegangen, bis er zuletzt an sich selber Hand gelegt hat. Der Dichter so vieler passiver Helden zeigte an seinem letzten Lebenstag, dem 23. Juli 1906, eine ungewöhnliche Entschlußkraft. Vormittag bezahlte er die Apothekerrechnungen, scherzte nochmals in alter Offiziersmanier mit den Freunden. Um 6 Uhr richtete er die Pistole gegen seine Krankheit und traf.

Will man noch mehr über den Menschen Saar wissen? Er selber wehrt sich gegen jedes weitere Eindringen. Dieser Komposthaufen mit viel Unflat, auf dem er gewachsen ist: „wollte ich davon schreiben, das wäre ja Zola!“ rief er entsetzt aus. Ein Unterleutnant 2. Klasse mit einem Hungerlohn, mit einer verwitweten Mutter, die bei Näherinnen schläft: diese Arisjtokratenwirk- lichkeit Saars entspricht weder dem Mythos noch dem Klischee. Aber auch noch als Pair der Monarchie, der ein kleines Vermögen vererbt, lebt er in der nun ihm überlassenen Wohnung eines Döblinger Briefträgers.

Ja warum darf es denn kein Zola sein, würde ein moderner Interviewer unbefangen den Dichter fragen und nur beweisen, wie unrecht er mit der Frage hat, weil sie den Zusammenhang von Kulturklima und Persönlichkeit übersieht.

Zola fuhr mit den Kumpels gemeinsam ein. Unter Tage sah er das russige Gesicht einer neuen Epoche. Daraus wurde v.Germinal“.

Vielleicht hat Saars Resignationspoesie und warme Einfühlungskraft bei uns zum sozialen Fortschritt mehr beigetragen als Zolas Dynamit. Die meisten Dinge sind ganz anders. Besonders in Österreich. Wer wissen will, wie sehr es anders war, der lese Ferdinand von Saar.

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