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Ferdinand von Saar schreibt Briefe

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Ferdinand von Saars Werke sind alle Bruchstücke einer großen Confessio. Dieses Bekennen ist Saars dichterischer Stil, wie auch die Gestalten seiner wertvollsten Dichtungen niemals ganz von seinem Selbst abgelöst sind. Den Schlüssel zu Saars Dichtung bietet uns sein Leben, wie es sich vor allem in seinen Briefen spiegelt. Zu diesen Bekenntnisbriefen, in die Saar seine ganze innere Not getragen hat, gehört vor allem der Briefwechsel mit seinem späteren Schwager, dem Vizebürgermeister Dr. Moritz Lederer, einer der markantesten Gestalten des liberalen Bürgertums, das vor Lueger in Wien die geistige Atmosphäre bestimmte.

Auch Saar gehörte trotz seines Beamtenadels dieser Mittelschicht an, die damals schon einen schweren Existenzkampf führte. Dieses Bürgertum war damals in Österreich zwar aufgeklärt und gegen jede Kirchlichkeit, zehrte aber noch von den sittlichen Reserven der Vorfahren und nahm vor allem Ehe und Familie sehr ernst. Die Söhne wurden mit Vorliebe den bewährten geistlichen Erziehern des Schottenstiftes anvertraut. Dort empfing auch Saar seine geistige Formung, und seine feinste Novelle, „Innozenz“, wurzelt noch ganz in dieser Geistigkeit. Von daher haben viele Gestalten Saars ihre ergreifende innere Reinheit, wie die Schloßherrin von Kostenitz oder der verführte Knabe im „Sündenfall“. Je mehr aber Saar sich von dieser Kindheit entfernte, um so mehr geriet er in den Bannkreis Schopenhauers, dessen Philosophie die Gebildeten jener Zeit beherrschte. Sie empfanden dieses seines höchsten Sinnes beraubte Leben als unerträgliche Last und antworteten darauf mit dem Weltschmerz, dem taedium vitae, in den auch der Dichter immer tiefer hineingeriet. Während iin Ausland der Naturalismus bereits seinen Siegeszug angetreten hatte, in der Zeit eines Zola, Flaubert, Maupassant, eines Ibsen und Dostojewski, eines Sudermann und Gerhart Hauptmann, blühte in Österreich die Dichtung Saars und der Ebner-Eschenbach als später milder Humanismus.

Saar mußte bis in sein Alter mit den schwersten Lebenssorgen kämpfen urtd lebte seit der Beendigung seiner militärischen Laufbahn nahezu ganz von einem Familienstipendium und von der Wohltätigkeit der Fürstin Elisabeth Salm, und der Frau Josefine Wertheimstein, die ihm in Blansko und Raitz sowie in Döbling ein Heim gaben, in dem er sorglos schaffen konnte. Vor diesem Mäzenatenrum lebte er bis zum Tode der Mutter Karoline von Saar in bitterster Not. Einen Höhepunkt dieser Not bildet das langsame qualvolle Sterben der Mutter. Zu dieser Trauer kam die Sorge um die Deckung der Begräbniskosten für den gänzlich mittellosen Dichter. In diesem Augenblick höchster Verlassenheit übermittelte ihm der Advokat Dr. Moritz Lederer eine Spende von 500 fl. von seiten der Fürstin Salm und eine Einladung auf ihr Schloß Blansko in Mähren. Saar folgte dieser Einladung, und hier setzt der Briefwechsel mit seinem Freunde Dr. Moritz Lederer ein, der bis nahe an sein Lebensende währt und in dem seine innere Entwicklung klar spiegelt: nach einem kurzem Erlöstsein von materiellen Sorgen Krankheiten aller Art bis zu dem furchtbaren Darmkrebs, der ihn schließlich in den Tod trieb.

Der erste Brief an Dr. Moritz Lederer ist ein Aufjubeln nach langer Not, nach der er sich in Blansko wie im Paradies vorkam. Sogleich schrieb er seinem Freund Moritz Lederer am 15. August 1872:

„Teuerster Freund!

Bin glücklich angekommen und fühle mich so wohl, daß ich laut jubeln könnte! Es sind prächtige edle Menschen, die mich hier so gastlich aufgenommen, und ich werde arbeiten, daß es eine Freude sein soll! Habe auch schon gestern angefangen, aber es stellte sich bis abends garstiges Zahnweh ein, das auch heute nicht ganz weichen will.

Wie geht es Ihnen, Teuerster? Noch immer verstimmt? Erfrischen Sie sich hier und seien Sie glücklich wie Ihr treuer, Ihnen tief und herzlich ergebener

Saar

Es ist der einzige herzensfrohe Brief, den wir von Saar besitzen. Blansko wurde für ihn zu einem Daueraufenthalt, und hier hat er die „Novellen aus Österreich“ verfaßt, die seinen Dichterruhm begründeten. Blansko gewann für ihn aber noch tiefere Bedeutung: dort war eine Schwester des Dr. Moritz Lederer, Melanie Lederer, als Gesellschafterin der Fürstin tätig. Zwischen ihr und Saar entfaltete sich bald tieferes Verstehen und warme Freundschaft. Fürstin Elisabeth Salm war es, die diesen beiden im Grunde heimatlosen Menschen durch eine Heimstatt die Ehe ermöglichte. Sie räumte ihnen eine Wohnung in einem Häuschen des Schlosses ein, und so konnte Ferdinand von Saar im Jahre 1881 Melanie Lederer heiraten und wurde der Schwager seines bisherigen Freundes Moritz Lederer. Von nun an verbindet ein noch häufigerer Briefwechsel die beiden. Ferdinand von Saar ist der anlehnungsbedürftige, oft ratlose Dichter, Moritz Lederer der innerlich gefestigte Mann, der seine persönlichen Enttäuschungen mannhaft überwunden hatte und seine Stelle im öffentlichen Leben voll ausfüllte. Da er unverheiratet blieb und nur mit einem alten Diener in einer Junggesellenwohnung am Wild-pretmarkt im vierten Stock hauste — auch der Diener mußte abends die Wohnung verlassen —, waren die alten Klassiker seine abendlichen Gefährten. Er las bis in sein hohes Alter alljährlich die römischen und griechischen Klassiker von Anfang bis zum Ende durch. Diesem innerlich vornehmen Mann vertraute Saar seine Sorgen an.

In Blansko traf den Dichter ein neuer furchtbarer Schlag durch den Selbstmord seiner Gattin Melanie. Nur drei kurze Jahre waren beide verbunden gewesen. Die späte Ehe hatte nicht zu gegenseitiger Anpassung geführt und Melanie in schwere seelische Depressionszustände gestürzt. Ihr Tod war wie ein Vorspiel zum Sterben des Dichters, dessen Briefe von da an immer düsterer klingen. So schreibt er am 18. Dezember 1885:

„Lieber guter Moritzl Dein Brief hat mich recht wehmütig gestimmt, und ich wollte ihn eigentlich sofort beantworten! allein wie so manchen guten Vorsatz habe ich auch diesen nicht ausgeführt. Im Grunde hätte ich ja auch wehmütiger antworten müssen — was soll das fruchtlose Klagen! Heute aber schreibe ich Dir, um Dir möglichst angenehme Weihnachten und ein gutes, nicht bloß ausreichendes Neujahr zu wünschen. Du hast noch Immer viele Chancen — aber ich! Ich habe alles auf — eine Karte gesetzt, und so oft ich sie ausspiele, verliert sie. Die ewigen Betteleien und Stipendien hab ich nachgerade satt — und es wird jetzt schon fast schandbar, die-. selben weiter fortzusetzen und in immer neue Verpflichtungen gegen zahllose Menschen hineinzugeraten. So blicke ich denn dem neuen Jahre recht sorgenvoll entgegen. Wie ich eigentlich hier lebe, kannst Du Dir denken — und ich fühle es zutiefst, daß ich diesmal zum letzten Male in Blansko überwintere. Zu seelischen Verstimmungen gesellt sich auch körperliches Ungemachs denn meine fensterreiche Wohnung heizt sich miserabel, was Ich doppelt empfinde, da ich den ganzen Tag zuhause bin und der heurige Winter sich sehr strenge anläßt.“

Saar wird immer kränker. Ein schweres Augenleiden erschwert ihm das Schreiben, am schwersten aber drückt ihn das unheilbare Darmleiden. Der letzte Brief an Moritz ist vom 8. Juni 1905 datiert und lautet:

„Lieber Moritz! Vor allem herzlichen Pfingstgruß! Gleich nach den Feiertagen will ich von hier abreisen. Uber mich sage ich Dir nur: daß mein Zustand zum Äußersten gediehen ist. Valel“ Saar ist damals tatsächlich in seine Döblinger Wohnung zurückgekehrt, der Briefwechsel setzt sich in rasch geschriebenen Karten fort, in denen Treffpunkte vereinbart werden. Am 23. Juli 1906 hat

Saar durch einen Kopfschuß seinem Leben ein Ende gemacht.

Saars Dichtung ist, wie eingangs dargestellt, ein einziges großes Bekenntnis. Wir erfahren aus ihr, wie schwer Saar mit dem Leben gerungen hat. In seinen drei ersten. „Novellen aus Österreich“, vor allem im „Innozenz“ und in den „Steinklopfern“ ist noch der Glaube vorhanden, daß der tapfere Mensch sich durchringen kann gegen alles böse Geschick. Später aber verdüstert sich sein Gemüt. Unter dem Einfluß Schopenhauers verfällt er einem immer stärkeren Lebensekel. Das spricht sich auch in seiner Dichtung aus. Gerade die vornehmen Menschen gehen an den gewissenlosen zugrunde. Der Ausklang seiner Dichtung, die Novellen der „Camera obscura“ und der „Tragik des Lebens“ sind durchwegs erfüllt von einem abgründigen Pessimismus. Selbst wo äußere Ereignisse den Menschen zu Hilfe kommen, wie in den „Pfründnern“, zerstört die Bosheit der Menschen auch das letzte Glück. Diese moralische Mordbrennerei, wie Ebner-Eschenbach es genannt hat, vernichtet immer wieder die Menschen. Auch Ebner-Eschenbach bringt diese Gestalten, besonders unter ihren Frauen. Aber die Folgerungen, die die beiden ziehen, sind verschieden. Marie von Ebner-Eschenbach glaubt trotzdem daran, daß das Böse durch das Gute überwunden werden kann, vor allem, daß Liebe erziehen kann. Ferdinand von Saar aber glaubt an die Herrschaft des Bösen, und sieht nur im Ende des Lebens die Erlösung. So tief hat Schopenhauers Pessimismus damals in das gebildete Bürgertum hineingewirkt.

Als Saars irdische Laufbahn sich ihrem Ende zuneigte, war bereits eine junge Generation im Anstieg, die sich ihren neuen Weg erkämpfte. Die Väter waren meist erfüllt von grenzenloser Begeisterung für Bismarck und das neuerstandene

Reich; die Söhne aber lernten die weit historische Mission des Völkerstaates verstehen. Die Väter waren religiös überaus genügsam und weltanschaulich liberal, dabei aber in ihren sittlichen Anschauungen eher konservativ, als der Jungsturm über sie hereinbrach. Die Jugend brach radikal mit der geruhsamen Weltanschauung der Väter. Ein Teil verschrieb sich dem Naturalismus, den die Brüder Hart in Berlin, M. Conrad in München verkündeten und Sudermann und Gerhart Hauptmann von der Bühne predigten. Sie brachen mit der sittlichen Tradition der Väter, die mit dem Glauben ihre Stütze verloren hatte. Ein anderer Teil der Jugend aber erlebte eine religiöse Erneuerung, die die Väter nicht weniger erschreckte als der Naturalismus der anderen. Eine Zeit der Unruhe war angebrochen, die den ersten Weltkrieg vorbereitete.

Saar fühlte sich trotz der hohen Ehrungen zu seinem 70. Geburtstag von den Jungen überholt und entthront. Die Zeit seines liberalen Humanismus war vorbei. Für die radikale Jugend waren die reine feine Priestergestalt des Innozenz, die Schloßfrau von Kostenitz in ihrer Unberührtheit beinahe unverständliche Gestalten und die genügsamen Steinklopfer zu wenig revolutionär. Saar zählte sich zu den Gestrigen, die er in „Vae Victis“ schildert. An ihm schien es nun, gleich dem General, einer willenskräftigeren, skrupellosen Generation Platz zu machen.

Seine Zeitgenossin und treue Freundin Marie von Ebner-Eschenbach hat auch die neue Zeit bejaht und die Brücke zu dieser neuen Welt mitgebaut. Saar aber verblieb in der Sehnsucht zum Gestrigen, das nicht mehr wiederkehrt. Ihm fehlte die Gnade der täglichen Erneuerung, der ewigen Jugend in Gott. Das war die Tragik dieses großen Dichters, der in den „Novellen aus Österreich“ und in den „Wiener Elegien“ Großes geschaffen hat.

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