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Unvergängliche österreichische Melodie

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Als die fünfte Sammlung von Novellen unter dem Titel „Herbstreigen“ im Jahre 1896 erschien, schrieb Saar an seinen Verleger am 9. Juni: „Die jetzt vorliegenden 17 Novellen sind alle aus einem Gesichtspunkte zu betrachten, nämlich als Kultur- und Sittenbilder aus dem österreichischen Leben von 18 50 bis zur Gegenwart. Nur wenn man ihren Zusammenhang erkannt hat, begreift und würdigt man sie vollständig.“ Die beiden vorliegenden Bücher der auf fünf Bände berechneten Gesamtausgabe des erzählerischen Werkes, durch einen heimischen Verlag herausgegeben, verdienen gerade aus der Sicht einer Zusammenschau in der Rückschau und in der Form der Gliederung dieser Bände größte Beachtung und besonderen Dank.

Was von Saar außer den Gedichten, mit denen er oft weit seiner Zeit vorauseilte (soziales Gefühl), und außer den mit Duft und Farbe gesättigten „Wiener Elegien“ heute noch lebt, das sind nicht die Theaterstücke, um die Saar ernst gerungen hat, sondern es ist die unvergängliche Melodie aus Oesterreich, aus dem alten Reich, dem der k. u. k. Unterleutnant 2. Klasse fast elf Jahre lang im weißen Waffenrock gedient hat: jene Erzählungen, die bezeichnenderweise mit „Innocens" auf dem Wyschehrad bei Prag einsetzen. Wenn man bedenkt, daß diese vielleicht (neben dem „Leutnant Burda“ und „Tambi“) am meisten gelesene Novelle bei einer Erstauflage von 500 Stück fünf Jahre brauchte, um verkauft zu werden, dann erkennen wir erst das Ausmaß unserer Schuld gegenüber dem größten Novellisten, den Oesterreich besessen hat.

Bei der Durchsicht und Korrektur der 1897 in erster Ausgabe erschienenen „Novellen aus Oesterreich“ hat • Saar, der an sich selbst die strengste Kritik anlegte, mit seiner leicht wienerisch gefärbten Sprache gesagt: „Das is was!“ Und damit hat er recht behalten. Weit über die schwarzgelben Grenzpfähle hinaus drang mit den Geschichten, die wir jetzt wieder in einer sauberen, klar gedruckten Ausgabe vor uns liegen haben, der Ruf Ferdinand von

Saars, und man kann nur Alfred Freiherr von Berger zitieren, der seinerzeit meinte: „Wer ein geborener Oesterreicher sein will, sollte mit Saars Novellen aus Oesterreich ebenso vertraut sein wie mit den Dramen Grillparzers.“

Die Gliederung der beiden Bände bringt im ersten Band: „Innocens", „Marianne“, „Die Steinklopfer“, „Die Geigerin“, „Das Haus Reichegg“. „Vae victis“, „Der Exzellenzherr“, „Tambi“,- „Leutnant Burda" und „Seligmann Hirsch“; im zweiten Band: „Die Troglodytin“, „Ginevra“, „Geschichte eines Wienerkindes“, „Schloß Kostenitz“, „Herr Fridolin und sein Glück“, „Ninon", „Requiem der Liebe“ und „Doktor Trojan". Somit erfassen die zehn Novellen vom „Innocens“, bis „Seligmann Hirsch“ die fünf Geschichten aus der ersten Novellensammlung von 1877, die drei aus der zweiten von 1882, mit Jahreszahl 1883 erschienenen unter dem Titel „Drei neue Novellen", und zwei der drei Erzählungen des Bandes Schicksale (1888 89). „Die Troglodytin“ ist aus dieser Sammlung als erstes Werk in den zweiten Band der vorliegenden Ausgabe gestellt worden. Die Welt, in der Saar diese Seelenbilder mit dem Auge eines den späteren ausländischen Realismus Vöraus- nehmenden auffaßte, ist jene, die uns heute anmutet wie eine Fata Morgana. „Ich bin ein Freund der Vergangenheit", sagt Saar in der „Geigerin“, setzt aber gleich hinzu, damit meine er nicht jene sogenannte gute alte Zeit, die es niemals gegeben hat; „nur jene Vergangenheit will ich gemeint wissen, die mit ihren Ausläufern in die Gegenwart hineinreicht. .."

Ja sie reicht auch in unsere Zeit herein. Wir fühlen uns, wenn wir alt genug sind, lebendig mit ihr verbunden. Der Wyschehrad lebt so wie der Po, den „Vae victis“ aufschimmern läßt, wie der Klang des Wortes „Lemberg“ anderswo, Mährens, Wiens, der Steiermark. Es ist, als atme man beim Lesen auf und sähe weit über die Grenzen.

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