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Ein Stück fürs Theater

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Einem zwölfjährigen Kind gleiche das Publikum, schrieb Cocteau im Vorwort zur „Machine ä ecrire“ — einem Kind, das nur schwer für et^ was zu interessieren ist und dem man nur beikommt mit dem Lachen und dem Weinen. Aus dieser Einsicht heraus und zweifellos auch aus einer nostalgischen Sehnsucht nach der wilden Welt der gestikulierenden „monstres sacres“, die das Theater noch vor dem Understatement der realistischen Szene bevölkerten, entstand auch seine auf den ersten Blick seltsam anmutende Fantasie über den Königinnenmord „Der Doppeladler“. Die Schicksale des bayerischen Ludwig und der österreichischen Elisabeth klingen hier an, werden eingeschmolzen in die ekstatische Liebesgeschichte der Königin und ihres Mörders; zwei Ideen, besser zwei Phantome: Anarchismus und Monarchismus — werden zu menschlichen Wesen, versinnbildlicht durch die beiden Köpfe des Doppeladlers. All das aber ist nur der Vorwand für ein Theaterstück, für eine manieristisch-romantische ..piece bien faite“, die man zwischen Artaud und dem Dialogtheater lokalisieren müßte. Hier wird einmal nicht Soziologie geredet. Hier wird auch nicht weltverbessert. Hier wird

Theater gespielt mit einem unzeitgemäßen Ja zur großen pathetischen Szene, zum melodramatischen Reißer. Den Realismus ersetzt die Dekoration, die Sprachnot wird zur Pro-sodie. Statt politischem Engagement gilt die ästhetische „gratuite“, statt der Aktualität die wirklichkeitsfremde Welt der Kulissen, statt der Verfremdung die totale Identifikation.

Solches begibt sich derzeit in Graz, im Schauspielhaus, wohin der neue Chefdramaturg Kurt Klinger nach manch dürren Zeiten dieses Schauspielerstück von Jean Cocteau geholt hat. Günther Tabors Inszenierung ist meisterlich in der surrealen

Traumhaftigkeit des Geschehens und in der vorbildlichen Führung der Darsteller (Marianne Kopatz in ihrer vielleicht besten Rolle und Wolfgang Düring), die endlich wieder einmal Gelegenheit bekommen, großes Schauspielertheater zu spielen. Das Bühnenbild W. Skalickis trägt mit seiner artifiziellen Tragik sehr zum großen Erfolg dieser Produktion bei. Schade ist nur, daß in der Gesamtwirkung jener unbedingt nötige Schuß Ironie nicht stärker zur Geltung kam, der mit der musikalischen Untermalung durch Liszt-Musik reizvoll angeklungen war.

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