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Eine notwendige Häutung

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Wenn die Volkspartei nach dem Dreikönigstreffen in Salzburg wieder einmal zur Reform schreitet, dann steht zu hoffen, daß es diesmal tatsächlich eine grundlegende Reform wird, eine Reform, die mehr ist als eine Diskussion über notwendige Reformen. Die Parteiverdrossenheit ist nämlich ein Dauerproblem, und in Wahrheit wissen die großen Parteien längst, was sich ändern sollte und wie es geändert gehörte.

Seit mindestens 15 Jahren gibt es eine intensive Diskussion über den Strukturwandel in der Gesellschaft, der auch das Wesen der Parteien umformt. Der deutsche Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr hat 1977 vom Parteienstaat in der damaligen BRD von einem „Koloß auf töneren Füßen, aber mit stählernen Zähnen" geschrieben. Politische Verweigerung und aktive Ungeduld bestimmen immer mehr die Haltung des Bürgers, der längst erkannt hat, daß es mit der Riesenwaschkraft der Parteien nicht mehr weit her ist, daß die Machterhaltung immer mehr dazu verleitet, keipe Entscheidungen zu treffen, und daß einer gelähmten Regierung, die Entscheidungen scheut, eine lärmende Opposition gegenübersteht, die keine Entscheidungen treffen kann.

Die Austragung von Konflikten in unserer Parteiendemokratie wird immer verantwortungsloser, weil es kaum mehr um die

Lösung von Sachfragen geht, sondern um Scheingefechte. Letztes Beispiel ist die völlig unnotwendige Diskussion um die Insignien unseres Wappenadlers. Man kann hier nur noch von einer Degeneration der politischen Auseinandersetzung sprechen. Sie wird durch Medien gefördert oder initiiert, die Politik nur nach dem Unterhaltungswert definieren.

Politikverdrossenheit ist eine Folge der Grenzüberschreitung der Parteien, und die „stählernen Zähne", von denen Wolf-Dieter Narr spricht, wollen ihre Beute nicht gerne loslassen. So kommt es zu dem, was Christian Seitz in seiner Studie „Untergang oder Neubeginn" provokant, aber realistisch so formuliert: „Korruption, Verfilzung und öffentliche Skandale sind nicht abschaffbares Beiwerk der Gefälligkeitsdemokratie, sondern die Substanz unserer derzeitigen politischen Kultur."

Seitz spricht von „kranken Parteienkolossen", die sich in einem letzten Kraftakt häuten müßten, um die absterbenden Gewebeteile abzustoßen.

Möglicherweise gelingt der ÖVP nach dem Dreikönigstreffen dieser Kraftakt. Sie hätte die Chance mit der Häutung früher anfangen zu können und damit politisch ein neues Leben zu beginnen.

Die SPÖ glaubt, mit Vranitzky noch in einer guten Haut zu stecken. Welch ein Irrtum.

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