Adania Shibli auf der Frankfurter Buchmesse: Keine Zeit für Nebensachen

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Die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli hätte auf der Frankfurter Buchmesse geehrt werden sollen und wurde zum Opfer der Weltlage.

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Die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli hätte auf der Frankfurter Buchmesse geehrt werden sollen und wurde zum Opfer der Weltlage.

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Adania Shibli hat Pech gehabt, ein Pech, das gegen das Unglück der israelischen Terroropfer und der Zivilisten im Gaza-Streifen freilich nicht schwer wiegt: Der Termin für die Verleihung des „LiBeraturpreises“ für Autorinnen aus dem „globalen Süden“ an sie im Rahmen der Frankfurter Buchmesse fiel in eine Zeit, in der jede Würdigung einer palästinensischen Stimme unter Verdacht steht.

Was das „für ein Zeichen wäre“, fragten Kritiker, als müsste die Auszeichnung eines literarisch herausragenden Buches sich flexibel nach der jeweiligen Weltlage richten. Weil das nicht genügte, hat man die Schriftstellerin als Terror-Sympathisantin diffamiert und ihren Roman „Die Nebensache“, in dem sie den realen Fall der Vergewaltigung und Ermordung eines Beduinenmädchens durch israelische Soldaten im Jahr 1949 darstellt, als antisemitisch. Das Original erschien 2017, die englische Übersetzung wurde 2020 für den National Book Award und 2021 für den International Booker Prize nominiert. In einem Interview anlässlich der deutschen Ausgabe im Vorjahr wandte Adania Shibli sich gegen jeden Nationalismus, sie wolle ihre Herkunft nicht „als nationale Identität ausstellen“. Vielmehr gehe es um „eine moralische Haltung, die mich ständig aufmerksam sein lässt für den Schmerz anderer“.

Sie wäre also eine ideale Rednerin auf der Buchmesse gewesen, hätte der Direktor Standfestigkeit bewiesen. Die Verleihung wurde jedoch verschoben, angeblich einvernehmlich, was Shibli bestreitet. Mehr als 600 Autorinnen, Autoren und Betriebsmenschen haben in einem offenen Brief dagegen protestiert. „Kein Buch wird anders, besser, schlechter oder gefährlicher, weil sich die Nachrichtenlage ändert“, sagte die Berliner PEN-Präsidentin Eva Menasse. Doch ist die Kampagne einmal entfesselt, interessiert sich keiner mehr für literarische Qualität, Weltanschauung und andere Nebensachen.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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