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Der Autor als Dissident

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Nun hat er ihn also (ein Jahr zu spät) bekommen, den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 1992, der vor fiinf Jahren von Khomeini zum Tode verurteilte Schriftsteller Salman Rushdie. Und er freute sich, daß in der Laudatio Wendelin Schmidt-Denglers nur von seinem Werk die Rede war, nicht von seiner Opferrolle. Insofern war es entgegen der Aussage Minister Rudolf Scholiens sehr wohl ein Sieg der Literatur. Es gibt einiges, was den Fall Rushdie exemplarisch macht. Eines ist, daß die Veröffentlichung des Romans „Die Satanischen Verse" in vielen Sprachen nicht verhindert werden kormte. Allein diese Tatsache ist als Sieg der Literatur zu werten, auch wenn er mit schwersten Opfern, etwa der Ermordung des japanischen Übersetzers, zu bezahlen war. Das Buch hat nicht nur Politik gemacht, es hat (die iranische) Pohtik auch demaskiert. Das war und ist eine wichtige Funktion von Literatur, die auch die Dissidenten des ehemaligen Ostblocks zu nützen wußten. Seit einige von ihnen selbst politische Funktionen übernommen haben, seit sich einige von der Macht korrumpieren haben lassen, haben sie sich der Möglichkeit des Widerspruchs begeben.

Salman Rushdie hat keine Wahl. Die permanente Todesdrohung kann nur permanente Dissidenz zur Folge haben. Die Aussicht, daß Rushdie einstens iranischer Staatspräsident wird, ist nicht vorhanden. Deshalb kultiviert der indisch-britische Autor auch seine Dissidenz. Als Präsident des neuen Europäischen Schriftstellerparlaments will er versuchen, die Werke verfolgter Schriftsteller veröffentlichen zu lassen. Minister Schölten sagte die deutschsprachige Übersetzung durch Österreich zu. Die Gefahr hierbei - und das wäre die eigentliche Niederlage für die Literatur - besteht darin, daß Salman Rushdie somit zum institutionalisierten„Dissidentenfunktionär" wird und auf diese Weise seine künstlerische, literarische Unabhängigkeit einbüßt, wie jene Dissidenten aus den kommunistischen Diktaturen, die „gesiegt" haben. Es bleibt deshalb zu hoffen, daß die Öffentlichkeit auch wieder einmal ein (kritisches) Buch von Salman Rushdie zu lesen bekommt.

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