Nomophobie oder: Leben ohne Mobiltelefon

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Daniel Wisser über plötzlich geschenkte Zeit.

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Daniel Wisser über plötzlich geschenkte Zeit.

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Es war eine gute Idee, Paris zu Fuß mit der Navigations-App zu erkunden. Und es war eine schlechte Idee, denn eine solche App braucht viel Energie. Also stand ich schließlich am von Christos ­Neffen verpackten Triumphbogen, als ich feststellen musste, dass mein Akku leer war. Das Ladekabel war in meinem Rucksack, den ich nicht mitgenommen hatte. ­Panik stellte sich ein: Ich konnte niemanden anrufen, meinen 3G-Nachweis nicht herzeigen, den Weg zurück zum Hotel nicht mit der Navigations-App gehen. Ich konnte nicht googeln und feststellen, dass es für diese Angst schon einen Namen gibt: Nomophobie.

Ich setzte mich in ein Café und bestellte einen Aperitif. In den 1990er Jahren war ich alleine gereist - nach England, Marokko, Portugal. Damals hatte ich kein Mobiltelefon. Ich hatte alle Orte, die ich besuchen wollte, gefunden und auch den Weg nach Hause wieder gefunden. Ich hatte niemandem eine Chatnachricht schicken können oder ein Selfie oder ein Foto des Drinks, den ich gerade bestellt hatte.

Überhaupt musste man damals Filme erst nach der Reise im Drogeriemarkt abgeben, und es dauerte einige Tage, bis man die entwickelten Fotos abholen konnte.

Ich saß da. Unerreichbar in Paris. Mit einem Mal wurde mir klar, dass mir plötzlich Zeit geschenkt wurde. Ein unbezahlbarer Luxus. Die Nomophobie verwandelte sich in Nomophilie. Dieses Wort gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Also auch noch einen neuen Begriff geprägt!

Seither übe ich zu Hause in Wien. Ich begann damit, ohne Mobiltelefon zwei Gassen weiter zu gehen, zu einer Sitzbank, von der aus ich mein Haus noch sehen konnte. Ich setzte mich und versuchte, die Leere zu genießen. Heute schaffe ich es schon, mich ohne Mobiltelefon 800 Meter von zu Hause zu entfernen. Und morgen kratze ich am Tausender.

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